Aktenwidrig und unvollständig
Das Bundesgericht wirft dem Obergericht des Kantons Bern vor, seine Beweiswürdigung in einem aktuellen Fall erweise sich als bundesrechtswidrig. Sie erweise sich als „aktenwidrig und unvollständig“ (BGer 6B_1068/2015 vom 02.11.2016).
Der Entscheid enthält u.a. eine kleine Einführung in den Grundsatz „in dubio pro duriore“:
Unzutreffend ist die Feststellung, die Staatsanwaltschaft habe das gegen den Beschwerdeführer geführte Verfahren wegen mehrfacher Vergewaltigung in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ eingestellt. Dies ist nach der gesetzlichen Konzeption nicht möglich. Der aus dem Legalitätsprinzip abgeleitete Grundsatz „in dubio pro duriore“ verpflichtet die Strafverfolgungsbehörden, im Zweifel Anklage zu erheben, da bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage, insbesondere bei schweren Delikten, das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden hat (vgl. Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 319 Abs. 1 und Art. 324 Abs. 1 StPO; BGE 138 IV 86 E. 4.1 f.; Urteil 6B_127/2013 vom 3. September 2013 E. 4.1). Dies hat auch die Staatsanwaltschaft erkannt und nach sorgfältiger Abwägung sowohl aus tatsächlichen als auch rechtlichen Gründen keine Anklage erhoben (E. 1.4.1).
Unvollständig war die Beweiserhebung und Beweiswürdigung u.a. deshalb, weil sich die Vorinstanz darauf beschränkte, eine Plausibilitätsprüfung der Aussagen vor der Vorinstanz durchzuführen. Ihre Schlussfolgerungen waren spekulativ und mehrfach nicht nachvollziehbar:
Die Beweiserhebung und -würdigung ist zudem unvollständig. Die Vorinstanz konnte nicht auf die persönliche Einvernahme der Beschwerdegegnerin 2 verzichten. Sie hält zutreffend fest, dass es in Bezug auf den Vorwurf der sexuellen Nötigung neben den sich widersprechenden Aussagen des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin 2 keine weiteren Beweismittel gibt. Gemäss gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist namentlich bei Sexualdelikten, die wie vorliegend häufig aufgrund einer „Aussage gegen Aussage“-Konstellation zu beurteilen sind, die unmittelbare Wahrnehmung der beschuldigten Person und der Auskunftsperson durch das Gericht unverzichtbar. Die Beurteilung, ob und wieweit die jeweiligen Aussagen glaubhaft und überzeugend sind, lässt sich erst aufgrund des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin 2 beurteilen (vgl. vorstehend E. 1.3).
Die Vorinstanz durfte sich nicht auf eine Plausibilitätskontrolle der erstinstanzlichen Beweiswürdigung beschränken, denn sie verfügt als Berufungsgericht über umfassende Kognition in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und fällt ein neues, den erstinstanzlichen Entscheid ersetzendes Urteil (vgl. Art. 398 Abs. 2 und 3, Art. 408 StPO; BGE 141 IV 244 E. 1.3.3; Urteil 6B_339/2014 vom 27. November 2014 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 140 IV 145). Dass eine Beweiswürdigung ohne unmittelbare Kenntnis der für die Urteilsfällung notwendigen Beweismittel unvollständig und nicht möglich ist, veranschaulichen die vorinstanzlichen Erwägungen. Diese erschöpfen sich über weite Strecken in hypothetischen Überlegungen zu Umständen, zu denen die Beschwerdegegnerin 2 sich nicht geäussert hat oder bezüglich derer gesicherte Rückschlüsse nicht möglich sind. Nicht nachvollziehbar ist, auf welcher Grundlage die Vorinstanz ohne direkte Befragung und persönlichen Eindruck der Beschwerdegegnerin 2 beurteilen will, ob das Bestreiten, dem Beschwerdeführer nach dessen Auszug aus der ehelichen Wohnung diverse SMS geschickt zu haben, Ausdruck eines ambivalenten Verhaltens sei. Der nach Ansicht der Vorinstanz „seltsam anmutende“ Umstand, dass die Beschwerdegegnerin 2 den Zeitraum des angeblich ungewollt vollzogenen Analverkehrs nicht annähernd hat präzisieren können, lässt sich vorliegend nicht mit dem Argument erklären, es handle sich um ein „deliktsypisches“ Aussageverhalten von Opfern lang anhaltender und wiederkehrender Gewaltdelikte. Die Vorinstanz übersieht, dass dem Beschwerdeführer gerade nicht vorgeworfen wird, den Analverkehr mehrfach gegen den Willen der Beschwerdegegnerin 2 an ihr vollzogen zu haben und dass das Strafverfahren gegen ihn hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe eingestellt wurde. Dass die Beschwerdegegnerin 2 den Beschwerdeführer im Falle einer Falschbelastung stärker belastet und ihn nicht nur des einmaligen sondern mehrmaligen erzwungenen Analverkehrs bezichtigt hätte, ist spekulativ und insbesondere vor dem Hintergrund der Verfahrenseinstellung wegen mehrfacher Vergewaltigung nicht nachvollziehbar. Die gerichtliche Einvernahme hätte es der Vorinstanz erlaubt, die Beschwerdegegnerin 2 zu den von ihr ausgemachten „Erinnerungslücken“ und möglichen „Rachemotiven“ eingehend zu befragen und einen persönlichen Eindruck für die Beurteilung der Aussagen zu bekommen (E. 1.4.2).