Bundesgericht ordnet Haftentlassung an

In BGer 1B_51/2008 vom 19.03.2008 ordnet das Bundesgericht die Entlassung eines beschwerdeführenden Sicherheitshäftlings an. Leider äussert es sich nicht dazu, wieso in diesem speziellen Fall die unverzügliche Entlassung anzuordnen war, in anderen hingegen nicht (vgl. etrwa meinen letzen Beitrag zum Thema).

Der Beschwerdeführer, der sich im vorzeitigen Strafvollzug befindet, war erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft ging in Berufung und beantragt eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren.

Zu prüfen war zunächst die Frage der Überhaft, welche das Bundesgericht zwar diskutiert, dann aber offen lässt. Es weist zunächst darauf hin, dass die Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach Art. 86 StGB grundsätzlich nicht berücksichtigt wird. Die Ausnahme bilden die besonderen Umstände des Einzelfalls. Die bundesgerichtliche Praxis lautet wie folgt:

Dies wird bejaht, wenn der Beschwerdeführer bereits zwei Drittel der erstinstanzlich verhängten Freiheitsstrafe in Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug verbracht hat und die Strafe im Rechtsmittelverfahren noch verkürzt, nicht aber erhöht werden kann. In diesen Fällen verlangt das Bundesgericht eine Prognose über die Anwendbarkeit von Art. 86 Abs. 1 StGB (Art. 38 Ziff. 1 aStGB). Fällt diese positiv aus, muss dem Haftentlassungsgesuch stattgegeben werden (Entscheide 1B_100/2007 vom 15. Juni 2007 E. 4.1; 1P.18/2005 vom 31. Januar 2005 E. 2; 1P.611/1998 vom 17. Dezember 1998 E. 4). In zwei Entscheiden, in denen die Prognose unsicher erschien, hielt das Bundesgericht jedenfalls die Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft über drei Viertel der Strafe hinaus für unverhältnismässig (1P.219/2000 vom 20. April 2000 E. 2d und 1P.256/2000 vom
12. Mai 2000 E. 2) (E. 4.1).

Das Bundesgericht bestätigt, dass bei der mutmasslichen Dauer der Strafe auf einen allenfalls bereits vorliegenden erstinstanzlichen Entscheid abzustellen ist und erwähnt auch das m.E. entscheidende Argument:

Hinzu kommt, dass eine weitere Inhaftierung des Beschwerdeführers geeignet
ist, den Ausgang des Berufungsverfahrens zu präjudizieren. Genau dies soll
jedoch nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts und des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verhindert werden (E. 4.2).

Aber eben, die Frage der Überhaft lässt es letztlich offen, weil es (auch?) an einem speziellen Haftgrund – geltend gemacht war nur Fluchtgefahr – fehlte. Die vorinstanzliche Begründung für die Annahme der Fluchtgefahr erscheint mir als geradezu absurd. Sie lässt ausser Acht, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr nur bezweckt, den Vollzug der Strafe zu sichern. Dieser Zweck war hier ja aber bereits erfüllt. Das Bundesgericht korrigiert daher zu Recht:

Dabei wird ausser Acht gelassen, dass der Beschwerdeführer bereits einen Grossteil der zu erwartenden Freiheitsstrafe im vorzeitigen Strafvollzug verbüsst hat. Selbst wenn die Strafe, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, um ein Jahr verlängert würde, müsste der Beschwerdeführer vermutlich nur zwei Drittel davon verbüssen (Art. 86 Abs. 1 StGB). Unter Berücksichtigung der bisherigen Haftdauer verblieben dem Beschwerdeführer deshalb nur noch einige Monate Freiheitsentzug. In dieser Situation ist nicht anzunehmen, dass er seine Zukunft durch eine Flucht aufs Spiel setzen würde (E. 5).

Der Entscheid freut mich, weil er eine Verfassungsverletzung ausnahmsweise nicht einfach feststellt und den Verletzten dann einfach wieder seinem Schicksal überlässt. Hier wird direkt korrigiert und damit der verfassungsmässige Zustand wiederhergestellt.