Dammbruch bei den geheimen Überwachungen
Die aktuell vom Dienst ÜPF publizierten Daten zeigen einen massiven Anstieg der geheimen Überwachungsmassnahmen, vor allem bei den Antennensuchläufen, die primär bei Vermögensdelikten eingesetzt werden. Die erforderliche formell-gesetzliche Grundlage für Antennensuchläufe fehlt zwar, obwohl sie primär völlig unverdächtige Personen trifft, die nie davon erfahren.
Auch Stingrays und Bundestrojaner erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit:
Die Anzahl Einsätze der besonderen technischen Geräte (IMSI-Catcher) beläuft sich auf 171 (gegenüber 160 im Vorjahr). Die besonderen Informatikprogramme wurden im Jahr 2024 12 Mal eingesetzt (im Vorjahr 9 Mal).
Das alles ist aber nicht genug. Der Bundesrat will den Überwachungsstaat erneut massiv ausbauen, und zwar per Verordnung (vgl. dazu den Beitrag der Digitalen Gesellschaft).
Die arbeiten noch mit IMSI-Catchern… Jesus Christ… Quasi ein Ping-Pong-Verfahren, in welchem der Standort ermittelt wird, in dem man berechnet, wie lange es gedauert hat, bis ein Pong zurückkam…
Das alles in einer Zeit, wo Fedpol seit fast 10 Jahren (legalen) Backend-Access zu Google & Apple hat und theoretisch einfach das GPS einschalten kann, Standort ermitteln und das alles, ohne, dass es der Nutzer mitkriegt (Standard Android). Siehe https://www.watson.ch/schweiz/digital/757566226-neuer-daten-rekord-wie-die-schweiz-dank-google-und-apple-kriminelle-ueberfuehrt
Das alles…, wenn es ums Orten geht…, wenn es aber um Spionage von Inhalten geht, dann wird auch ein IMSI-Catcher nichts bringen, da a) die meisten verschlüsselt über Antennen kommunizieren und b) niemand via Telefon oder SMS sensible Daten teilt. Sogar Kleinkriminelle (Dealer) nutzen Telegram, weil sie wissen, dass Russlands Behörden mit „dem Westen“ gerade nicht kooperieren.
Die erhebliche Zunahme der Antennensuchläufe (insb. die erfassten Zellen) stellt eine interessante, aber auch etwas besorgniserregende Entwicklung dar. Gerade weil das Thema in der Öffentlichkeit teils kontrovers diskutiert wird, lohnt sich eine vertiefte Betrachtung.
1. Funktionsweise von Antennensuchlauf und Rasterfahndung
Der Antennensuchlauf ist eine geheime Überwachungsmassnahme, bei der rückwirkend sämtliche Mobilfunknummern erfasst werden, die über einen bestimmten Zeitraum über eine oder mehrere spezifische Mobilfunkantennen (Zellen) eine Verbindung hergestellt haben (Gespräch, SMS, Datenverbindung). Es werden dabei primär sogenannte Randdaten (Verkehrsdaten) wie Telefonnummern, Zeitpunkt und Dauer erfasst, nicht jedoch Gesprächsinhalte.
Die Rasterfahndung im Kontext des Antennensuchlaufs kommt unter anderem dann zum Einsatz, wenn eine unbekannte Täterschaft an mehreren Orten Delikte begangen hat.
Nehmen wir an, ein vermeintlicher Täter begeht an drei verschiedenen Tagen an drei verschiedenen Standorten (A, B und C) je ein schweres Delikt. Die Untersuchungsbehörden könnten nun für jeden Tatort und den relevanten Tatzeitraum einen Antennensuchlauf anordnen.
Für Tatort A (Tag 1) werden alle Mobilfunknummern erfasst, die zur Tatzeit über die dortigen Antennen aktiv waren. Dasselbe geschieht für Tatort B (Tag 2) und Tatort C (Tag 3).
Anschliessend werden diese drei umfangreichen Datensätze aus A, B und C abgeglichen. Gesucht wird nach Telefonnummern, die in allen drei Datensätzen (oder zumindest in einer signifikanten Überschneidung) auftauchen. Diese Schnittmenge (das „Rasterergebnis“) von Nummern wird als potenziell tatverdächtig eingestuft, da es unwahrscheinlich ist, dass viele Personen zufällig an allen drei Tatorten zu den jeweiligen Tatzeiten telefoniert resp. über die entsprechende Antenne kommuniziert (Datenverkehr, SMS) haben.
2. Fehlende explizite gesetzliche Grundlage
Die geheime Überwachung des Fernmeldeverkehrs ist in Art. 269 ff. StPO geregelt. Der Kritik ist insoweit zuzustimmen, als die StPO keine explizite, eigenständige Gesetzesbestimmung enthält, die den Antennensuchlauf bei unbekannter Täterschaft namentlich nennt und dessen Voraussetzungen detailliert regelt.
Es existiert lediglich eine Regelung auf Verordnungsebene (Art. 66 Abs. 1 VÜPF) und ein Leitentscheid des Bundesgerichts BGE 137 IV 340 aus dem Jahr 2011.
3. Grundsätze der Fernmeldeüberwachung nach StPO
Gemäss Art. 270 StPO darf sich die geheime Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs grundsätzlich nur gegen eine bestimmte (beschuldigte) Person oder gegen Drittpersonen richten, bei denen aufgrund gewisser Tatsachen angenommen werden muss, dass sie der beschuldigten Person ihre Anschlüsse zur Verfügung stellen oder für diese Mitteilungen entgegennehmen bzw. weiterleiten. Eine Überwachung „ins Blaue hinein“ gegen eine anonyme Masse ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen.
Zudem schreibt Art. 279 StPO vor, dass die betroffenen Personen (die überwachte beschuldigte Person und die nach Art. 270 lit. b überwachten Drittpersonen) spätestens mit Abschluss des Vorverfahrens über Grund, Art und Dauer der Überwachung informiert werden müssen. Dies soll ihnen insb. die Möglichkeit geben, ein Rechtsmittel gegen die erfolgte geheime Überwachung zu ergreifen. Bei einem Antennensuchlauf sind potenziell sehr viele Personen betroffen, deren nachträgliche Information eine Herausforderung darstellen kann.
4. Wesentliche Elemente des Leitentscheids BGE 137 IV 340 sowie Präzisierungen meinerseits
Das Bundesgericht hat sich in BGE 137 IV 340 vom 3. November 2011 eingehend mit der Zulässigkeit des Antennensuchlaufs im Rahmen einer Rasterfahndung bei unbekannter Täterschaft auseinandergesetzt:
4.1 Unterschied Inhaltsdatenüberwachung vs. Erhebung von Randdaten:
Die Überwachung von Inhaltsdaten (Mithören von Gesprächen, Lesen von Nachrichten) ist ein schwerer Eingriff und unterliegt hohen Anforderungen (Art. 269 StPO). Sie ist nur bei dringendem Tatverdacht einer Katalogtat gemäss Art. 269 Abs. 2 StPO zulässig.
Die einfache Randdatenerhebung (Verkehrs- oder Rechnungsdaten, Teilnehmeridentifikation) bei bekannten Teilnehmern ist gemäss Art. 273 StPO bei dringendem Tatverdacht eines Verbrechens oder Vergehens (alle Delikte, nicht zwingend einer Katalogtat) möglich.
4.2 Antennensuchlauf als qualifizierte Form der Randdatenerhebung:
Der Antennensuchlauf bei unbekannter Täterschaft stellt eine qualifizierte Form der Erhebung von Randdaten dar. Obwohl Art. 273 StPO nicht explizit von einer Rasterfahndung gegen Unbekannt spricht, sieht das BGer hier eine Basis, allerdings unter verschärften Bedingungen.
4.3 Voraussetzungen für den Antennensuchlauf nach BGE 137 IV 340:
Richterliche Genehmigung: Wie jede Randdatenerhebung nach Art. 273 StPO bedarf auch der Antennensuchlauf der Genehmigung durch das ZMG (Art. 273 Abs. 2 StPO).
Dringender Tatverdacht wegen eines Verbrechens: Für diese qualifizierte Form der Randdatenerhebung genügt nicht der Tatverdacht eines beliebigen Delikts. Es bedarf des dringenden Tatverdachts eines Verbrechens (E. 6.1; E. 6.3 spricht sogar von „Schwerverbrechen“), um der Eingriffsintensität Rechnung zu tragen.
Subsidiarität: Die Massnahme muss „ultima ratio“ sein (Art. 269 Abs. 1 lit. c StPO) / (E. 6.1). Die Schwere der Tat rechtfertigt die Massnahme, und andere Untersuchungshandlungen sind erfolglos geblieben oder wären aussichtslos.
Individualisierbarkeit der Zielperson(en): Die gesuchte (noch unbekannte) Täterschaft muss durch das Rasterergebnis grundsätzlich identifizierbar sein (E. 6.1).
Daten werden anonymisiert abgeglichen: Die Verkehrs-Randdaten werden zunächst anonymisiert vom Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Dienst ÜPF) erhoben und durch die Verfahrensleitung (i. d. R. Staatsanwaltschaft) abgeglichen, um die Schnittmenge zu ermitteln.
Schnittmenge muss klein sein: Die zu erwartende Schnittmenge der verdächtigen Nummern muss voraussichtlich klein sein, um den Eingriff in die Rechte Unbeteiligter minimal zu halten und die Verhältnismässigkeit zu wahren (E. 6.1).
Identifikation nur für die Schnittmenge: Erst für die resultierende, kleine Schnittmenge von konkret verdächtigen Nummern wird dann beim Dienst ÜPF die effektive Teilnehmeridentifikation (Name des Anschlussinhabers) angefragt (E. 6.5).
5. Fazit
Die vorstehenden Ausführungen stellen keine neuen Informationen dar, sondern dienen lediglich der Auffrischung. Zum Thema wurde bereits verschiedentlich geschrieben, etwa von Roos/Jeker in forumpoenale 3/2012 | S. 175–180 (noch nicht von mir konsultiert), Prof. Marc Forster (Festschrift für Andreas Donatsch, Zürich 2017, S. 357 ff., 359 ff.) oder in früheren Beiträgen in diesem Forum.
Zwar ist der Antennensuchlauf ein wichtiges Ermittlungsinstrument, doch wiegt seit jeher die fehlende gesetzliche Regelung schwer – obwohl sie breit, wiederholt und deutlich kritisiert wurde. Bedauerlicherweise blieb bis heute eine entsprechende Gesetzesänderung aus. Eine solche wäre jedoch dringend wünschenswert – insbesondere angesichts des tiefgreifenden Eingriffs in die Grundrechte zahlreicher Betroffener (nicht Beschuldigter), die von der geheimen Fernmeldeüberwachung keine Kenntnis erhalten resp., entgegen dem Grundsatz von Art. 279 StPO, im Nachhinein (weil wohl kaum praktikabel) nicht informiert werden.
Danke. Darf ich fragen, wie Sie Ihre Kommentare formatieren?
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@Laie: Danke für Ihre Frage.
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Ich verzichte jedoch bewusst auf die Nutzung solcher Tools, da ich befürchte, dass sie unnötigen Overhead oder HTML-Elemente produzieren, die vom Kommentarfeld nicht korrekt interpretiert werden. Das könnte zu unschönem „HTML-Buchstabensalat“ führen.
Stattdessen verfasse ich meine Texte in Word und ergänze die benötigten (minimalen) HTML-Formatierungen ganz klassisch von Hand.