Führerflucht

In einem lesenswerten Entscheid des Bundesgerichts (BGer 6B_575/2018 vom 22.11.2018) wird die Verurteilung eines Automobilisten (Führerflucht, Art. 92 SVG) bestätigt, dem an sich gar nicht viel vorzuwerfen war. 

Aber (überspitzt): er hat den Unfallort nach ca. fünf Minuten als letzter Beteiligter verlassen, obwohl das angefahrene Kind, geweint hatte.

Zuerst war zu klären, ob überhaupt ein Mensch verletzt wurde, was das Bundesgericht mit der Vorinstanz bejaht, und zwar aufgrund seiner sehr strengen Praxis:

Im Rahmen einer Überprüfung der Rechtsprechung hatte das Bundesgericht erwogen, kleine Schürfungen oder geringfügige Prellungen genügten, damit jemand als verletzt im Sinne von Art. 92 Abs. 2 SVG gelte; an dieser Rechtsprechung sei festzuhalten. Der Umstand, dass Art. 55 Abs. 2 Satz 1 VRV “bei kleinen Schürfungen oder Prellungen” eine Benachrichtigung der Polizei nicht vorschreibe, stehe dem nicht entgegen, zumal der Verursacher auch bei solch geringfügigen Verletzungen seinen Namen und seine Adresse anzugeben habe. Es lasse sich nicht annehmen, solche kleinen Verletzungen machten keinerlei Hilfe erforderlich und eine Führerflucht sei nicht möglich. Da Kollisionen oft schwere, nicht immer sichtbare Folgen nach sich ziehen, solle der Verletzer in jedem Fall nach dem Verunfallten sehen und auch bei harmlos scheinenden Verletzungen genau abklären, ob der Verletzte nicht noch grössere Schäden erlitten habe (E. 2.2.1).

Im vorliegenden Fall waren diese Voraussetzungen erfüllt:

Auch der Beschwerdeführer habe ausgesagt, dass sich der Knabe über Schmerzen beklagt und geweint habe und die Mutter ihm gesagt habe, sie müsse mit ihm ins Spital. Zwar befinde sich in den Akten kein ärztlicher Befund, aber es lägen keine Hinweise dafür vor, dass die Mutter ihre Angaben bloss erfunden hätte. Die Situation habe sich für den Beschwerdeführer jedenfalls nicht dergestalt dargestellt, dass er von einer praktisch bedeutungslosen Verletzung, der kaum Beachtung geschenkt werden müsse, habe ausgehen können (E. 2.4, Hervorhebungen durch mich). 

Hier bin ich nicht einverstanden. Offenbar war nie bewiesen, dass das Opfer überhaupt verletzt war. Die Angaben der Mutter können doch als Beweis nicht reichen, wenn das Opfer sich medizinisch abklären liess.

Zu klären war dann noch die Flucht. DAs Bundesgerichts steckt zunächst den rechtlichen Rahmen ab:


 
Die “Flucht” setzt kein krasses Fehlverhalten voraus, wie das etwa nach dem Sachverhalt im Urteil 6B_928/2017 vom 20. Dezember 2017 der Fall war. Bei Unfällen mit Personenschaden ist die Polizei “sofort” zu benachrichtigen. Das unterliess der Beschwerdeführer. Als Flucht gilt in erster Linie das Entfernen vom Unfallort, ohne den gesetzlichen Pflichten nachgekommen zu sein. Insoweit ist unerheblich, ob der Fahrzeugführer vorher angehalten hat oder nicht bzw. zwar Hilfe leistet, sich aber in der Folge von der Unfallstelle wegbegibt, ohne die Polizei verständigt zu haben. Die Vereitelung der Verfügbarkeit auf der Unfallstelle wird der Flucht gleichgesetzt. Die Flucht setzt immer voraus, dass das Entfernen vom Unfallort pflichtwidrig im Sinne von Art. 51 SVG ist (UNSELD, a.a.O., N. 43 ff. zu Art. 92 SVG). Ohne Zustimmung der Polizei darf die Unfallstelle gemäss Art. 51 Abs. 2 SVG denn auch grundsätzlich nicht verlassen werden (E. 2.5).

Und dann subsumiert es wie folgt:


Wie die Vorinstanz ausführt, hat es der Beschwerdeführer entgegen Art. 51 Abs. 2 SVG in Verbindung mit Art. 55 Abs. 2 Satz 1 VRV unterlassen, die Polizei rechtzeitig zu benachrichtigen. Er habe damit den Tatbestand des pflichtwidrigen Verhaltens gemäss Art. 92 Abs. 2 SVG erfüllt. Dass er noch rund fünf Minuten vor Ort geblieben sei, sei nicht entscheidend. Der Einwand, es liege keine Fluchtergreifung vor, weil das Unfallopfer sich nicht mehr vor Ort befunden habe und damit nicht ersichtlich sei, was die Polizei vor Ort überhaupt hätte tun sollen, ist nach der Vorinstanz nicht geeignet die Tatbestandsmässigkeit entfallen zu lassen. Es sei nicht ins Belieben der verpflichteten Person gestellt, wann ein Personenschaden zu melden sei. Dass der Beschwerdeführer das Vorliegen eines relevanten Personenschadens nicht erkannt hätte, liege unter den gegebenen Umständen, insbesondere der von ihm wahrgenommenen Schmerzen und der Mitteilung, dass der Knabe ins Spital gebracht werde, ausserhalb einer vernünftigen Betrachtungsweise, weshalb mit der Erstinstanz von einer vorsätzlichen und nicht bloss fahrlässigen Tatbegehung auszugehen sei (Urteil S. 7) [E. 2.].