Grosse Ablehnung gegenüber Polizei und Rechtsordnung

Eine bernische Staatsanwaltschaft wirft einem teilweise einschlägig vorbestraften Beschuldigten vor, er habe bei einer Polizeikontrolle die anwesenden Polizisten beschimpft. Zudem soll er sich der Aufforderung, Abstand zu halten, widersetzt und den Arm eines Polizisten, der den Sicherheitsabstand angezeigt habe, weggeschlagen haben. Mit Verfügung vom 25. Januar 2021 ordnete die Staatsanwaltschaft die erkennungsdienstliche Erfassung (Foto, Fingerabdrücke, Signalement) des Beschuldigten an.

Seine Beschwerde dagegen blieb im Kanton Bern erfolglos, weshalb er – es sei ihm allein schon dafür gedankt- das Bundesgericht anrief (BGer 1B_171/2021 vom 06.07.2021). Dieses trat ein, weil der ED-Behandlung eine über das Strafverfahren hinausgehende eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. dazu E. 1).

Staatsanwaltschaft und Beschwerdekammer hatten ihren Entscheid zusammengefasst so begründet:

Der Beschwerdeführer habe aber durch sein Verhalten […] eine grosse Ablehnung gegenüber der Polizei und der Rechtsordnung ausgedrückt. Zudem sei er mehrfach vorbestraft. Es bestünden daher ernsthafte und konkrete Anzeichen dafür, dass er auch inskünftig Delikte von einer gewissen Schwere begehen könnte. […]. Die Vorinstanz […] hielt zudem fest, dass an die Schwere der zukünftigen Delinquenz keine zu hohen Anforderungen zu knüpfen seien, da die erkennungsdienstliche Erfassung selbst bei Übertretungen angeordnet werden dürfe. Beim Beschwerdeführer bestünde gegenüber dem Durchschnittsbürger zumindest eine leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass er sich in ähnlicher Weise an Straftaten beteiligen werde oder beteiligt habe. (E. 3,1, Hervorhebungen durch mich).

Das Bundesgericht prüft, ob die bisherigen und aktuellen angeblichen Straftaten die hinsichtlich künftiger Delikte geforderte Deliktsschwere erreichen und verneint dies:

Die dem Beschwerdeführer im laufenden Verfahren vorgeworfene Beschimpfung erfüllt die Voraussetzung einer schweren Rechtsgutverletzung zweifellos nicht (…). Im vorliegenden Kontext kann weiter auch die angebliche Drohung und Gewalt gegen Beamte nicht als schwer bezeichnet werden. Der Beschwerdeführer soll die Hand eines Polizisten weggeschlagen haben. Diese Tätlichkeit weist ebenso wenig wie die Beschimpfung die erforderliche Deliktsschwere auf. Den Akten lässt sich sodann nicht entnehmen, welcher Sachverhalt der Verurteilung im Jahr 2017 wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch zu Grunde lag. Die bedingte Geldstrafe von 40 Tagessätzen legt aber die Vermutung nahe, dass es sich im konkreten Kontext ebenfalls nicht um eine schwere Rechtsgutverletzung gehandelt hat, was im Übrigen auch weder die Staatsanwaltschaft noch die Vorinstanz behaupten. Dasselbe hat für die Verurteilung im Jahr 2015 wegen Gehilfenschaft zur Hinderung einer Amtshandlung zu einer bedingten Geldstrafe von fünf Tagessätzen zu gelten. Die Delikte liegen mithin allesamt im unteren Bereich der Strafbarkeit und weisen Bagatellcharakter auf. Sie erreichen die Schwelle der geforderten Deliktsschwere nicht und rechtfertigen keinen Grundrechtseingriff zu rein präventiven Zwecken. Anhaltspunkte, dass allfällige künftige bzw. bereits begangene Delikte die erforderliche Schwere erreichen könnten, sind von der Vorinstanz ebenfalls nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Aus der Behauptung, wonach der Beschwerdeführer durch sein Verhalten “eine grosse Ablehnung gegenüber der Polizei und der Rechtsordnung” ausdrücke, lässt sich allenfalls noch eine “gegenüber dem Durchschnittsbürger leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit” ableiten, er werde sich in ähnlicher Weise an Straftaten beteiligen bzw. habe sich beteiligt. Konkrete und erhebliche Anhaltspunkte, wie sie gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung allerdings erforderlich wären (vgl. E. 4.1 hiervor), können daraus nicht gefolgert werden. Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung bedeutet der Umstand, dass die erkennungsdienstliche Erfassung auch zur Aufklärung von Übertretungen angeordnet werden kann, im Umkehrschluss nämlich nicht, dass hinsichtlich ihrer präventiven Anordnung keine allzu hohen Anforderungen an die Schwere der zukünftigen Delinquenz zu knüpfen sind (a.M. DAMIAN K. GRAF / THOMAS HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 7 zu Art. 260 StPO). Die angeordnete erkennungsdienstliche Erfassung des Beschwerdeführers erweist sich unter diesen Umständen als unverhältnismässig und verletzt Bundesrecht (E. 4.3, Hervorhebungen durch mich). 

Einigen Strafbehörden würde vermutlich bereits die angebliche bzw. belegte Ablehnung gegenüber der Polizei und der Rechtsordnung genügen, nicht wahr?