Grundsatzentscheid zur Fünfjahresfrist nach Art. 59 Abs. 4 StGB

Das Bundesgericht widerspricht dem Obergericht BE bei der Frage, wann eine freiheitsentziehende stationäre Massnahme richterlich überprüft werden muss (BGE 6B_691/2018 vom 19.12.2018; Publikation in der AS vorgesehen) und heisst eine Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft gut.

Zuerst fasst das Bundesgericht seine Rechtsprechung zusammen und kommt zu folgendem Zwischenfazit:

Wird der Vollzug der Massnahme aus der Freiheit heraus angetreten, beginnt die Fünfjahresfrist gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB bzw. die richterlich festgesetzte Frist mit dem Eintritt in die Massnahmenvollzugseinrichtung zu laufen (). Wird die Massnahme nicht aus der Freiheit heraus angetreten – was der Regel entspricht -, ist für den Fristenlauf auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts (…) [E. 2.7.1.].

Komplizierter wird es u.a. dann, wenn die Massnahme bzw. der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug weniger als fünf Jahre nach Art. 59 Abs. 4 StGB dauern soll:


Vorliegend datiert der Anordnungsentscheid vom 28. Juni 2013. Die fünfjährige Erstanordnung der stationären therapeutischen Massnahme endete daher am 27. Juni 2018, weshalb die Vierjahresfrist gemäss Verlängerungsentscheid des Regionalgerichts Oberland vom 26. September 2017 am 28. Juni 2018 zu laufen begann. Die Vorinstanz stellt im angefochtenen Entscheid für den Beginn der Vierjahresfrist gemäss Verlängerungsentscheid demnach zu Unrecht auf den 24. Oktober 2017 ab [E. 2.8.2].

Im Ergebnis folgt das Bundesgericht damit Marianne Heer:


Dies läuft auf die von MARIANNE HEER zuletzt postulierte Lösung hinaus, wonach der vorzeitige Massnahmenvollzug zwar bei der Gesamtdauer der Massnahme zu berücksichtigen ist (insb. bei der zeitlichen Verhältnismässigkeit, vgl. oben), mit dem Sachurteil jedoch eine neue Frist zu laufen beginnt. Entgegen der Vorinstanz (vgl. Stellungnahme S. 2) erfolgt damit keine Überprüfung der Verhältnismässigkeit der Massnahme über einen “Zeithorizont” von mehr als fünf Jahren hinaus. Die Lösung, wonach für die Frist gemäss Erstanordnungsentscheid auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen ist, wird vielmehr auch dem Zweck gerecht, dass mindestens alle fünf Jahre ein gerichtlicher Entscheid über die Weiterführung der Massnahme zu ergehen hat (vgl. PFENNINGER, a.a.O., S. 37 f.). Das Gericht hat in seinem Anordnungsentscheid die Voraussetzungen für eine stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB und namentlich den Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu prüfen. Mit dem gerichtlichen Anordnungsentscheid wird auch ein allfälliger vorzeitiger Massnahmenvollzug einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen. Dabei darf auch berücksichtigt werden, dass ein vorzeitiger Massnahmenvollzug nur mit Einwilligung bzw. auf Ersuchen der betroffenen Person möglich ist. Der vorzeitige Massnahmenvollzug beruht daher nicht auf einer gerichtlichen Anordnung, sondern auf einem Ersuchen der betroffenen Person, das von der Verfahrensleitung bewilligt wurde (Art. 236 Abs. 1 StPO). Würde für den Fristenlauf auf den Beginn bzw. den Entscheid betreffend die Bewilligung des vorzeitigen Massnahmenvollzugs abgestellt, müsste das Gericht bei einem länger andauernden vorzeitigen Massnahmenvollzug unter Umständen bereits relativ kurze Zeit nach dem Anordnungsentscheid erneut über die Voraussetzungen für die stationäre therapeutische Massnahme und deren Verhältnismässigkeit befinden, was zu einer wenig sinnvollen Doppelspurigkeit führen würde (HEER, forumpoenale, a.a.O., S. 185 f.; DIES., Nachverfahren, a.a.O., S. 63; PFENNINGER, a.a.O., S. 38) und nicht im Sinne des Gesetzgebers war. Dieser ging in Art. 59 Abs. 4 Satz 2 StGB vielmehr davon aus, ein neuer gerichtlicher Entscheid habe – mangels gegenteiliger gerichtlicher Anordnungen – erst nach fünf Jahren zu ergehen (E. 2.6.2).

Ich verstehe diese Rechtsprechung nicht. Das Problem liegt wohl darin, dass eine stationäre Massnahme ohne Freiheitsentzug undenkbar ist und die Trennung zwischen Massnahme und Freiheitsentzug keinen Sinn macht. Aber eben. ich verstehe es wirklich nicht.