Hybride Entsiegelungsentscheide …
… bleiben bundesrechtswidrig (BGer 7B_378/2025 vom 21.06.2025). Das Bundesgericht fasst seine Rechtsprechung zu Art. 248a StPO wie folgt zusammen:
Das Gericht darf den Entsiegelungsentscheid aber nicht vollumfänglich an die sachverständige Person delegieren, denn es ist Aufgabe des Gerichts, die gesiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände wenn nötig zu triagieren und die geheimnisgeschützten Informationen auszusondern (siehe Urteil 1B_108/2011 vom 6. Juni 2011 E. 1.2 mit Hinweisen). Es darf die Entsiegelung der sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenstände erst anordnen, wenn es dieser Aufgabe nachgekommen ist, also nachdem es die geheimnisgeschützten Informationen – ob mit oder ohne der Hilfe einer sachverständigen Person – ausgesondert hat. Aus diesem Grund darf es nicht materiell über das Entsiegelungsgesuch entscheiden und im selben Entscheid noch prozessleitende Verfügungen treffen, etwa betreffend die Triage der sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenstände. Eine solche Vermischung materieller und prozessleitender Gesichtspunkte in einem sogenannten hybriden Entsiegelungsentscheid ist unzulässig (Urteile 1B_127/2022, 1B_128/2022, 1B_140/2022 vom 28. Oktober 2022 E. 4.1.3; 1B_380/2020 vom 13. Januar 2021 E. 2.3; 1B_555/2017 vom 22. Juni 2018 E. 3.3; 1B_519/2017 vom 27. März 2018 E. 2.2)[E. 3.2 Hervorhebungen durch mich].
Oder kurz:
Die Entsiegelung darf nicht angeordnet werden, ohne dass die gesiegelten Aufzeichnungen und Gegenständen vom Gericht im Einzelnen geprüft und triagiert wurden (E. 3.3)
Diese Rechtsprechung war ja (eigentlich) bereits bekannt. Trotzdem kann man sich die Frage stellen, weshalb ein solches Vorgehen (oder ein ähnliches) eigentlich nicht möglich sein soll. Fakt ist, dass schlussendlich diese geheimnisgeschützten Informationen (hier: Anwaltsgeheimnis) in jedem Fall weder einsehbar noch verwertbar sind. Abgesehen davon interessiert dies auch niemanden. Also geht es nur um eine reine Verzögerungstaktik. Es entsteht ein administrativer Mehraufwand für alle. Zu gewinnen gibt es genau gar nichts. Die Kosten (teilweise x-Tausend Franken für einen Experten) trägt ja die beschuldigte Person bei einer allfälligen Verurteilung. Will man die Justiz wirklich entlasten bzw. die Verfahren beschleunigen, muss man praktische Lösungen finden (da die gesetzlichen zu schwerfällig sind). Und um es klar zu sagen: die Rechte des Beschuldigten sind bzw. müssen selbstverständlich genau so gewahrt werden, als wenn das Expertiseverfahen und das anschliessende Triageverfahren bis ins letzte Detail, teilweise während mehreren Jahren, durchgezogen wird. Ich habe in den letzten x-Jahren noch nicht ein einziges Entsiegelungsverfahren gesehen, in welchem die beschuldigte Person am Schluss besser gefahren wäre, als wenn auf die Siegelung verzichtet worden wäre oder aber das Einverständnis gegeben wurde, eine „praktische Lösung“ (z.B.) im Sinne des hier vorliegenden Falls zu finden. Letzteres gibt es je länger denn mehr. Man muss sich nichts vormachen: gerade bei Haftfällen dauert diese im Endeffekt länger. Der Sinn und Zweck der Siegelung ist wichtig, die aktuell vorgesehene gesetzliche Regelung zur Umsetzung ist jedoch zumindest teilweise eine Fehlkonstruktion. Und alle wissen es.
@Anonym: wenn es wirklich alle wüssten, wieso wurde der Prozess mit der letzten Revision nicht vereinfacht?
@kj: weil es halt (zu) viele Anwälte im Parlament hat….schlussendlich war das ein Eigentor.
@Anonym: das ist jetzt aber etwas dünn. Und wieso war es ein Eigentor? Man muss ja nicht siegeln, wenn man nichts davon hat. Apropos viele Anwälte: es waren ja Eure, die besonders viel Einfluss hatten.
@Anonym
Trotzdem kann man sich die Frage stellen, weshalb ein solches Vorgehen (oder ein ähnliches) eigentlich nicht möglich sein soll
Hybride Entsiegelungsentscheide sind praktisch unmöglich, weil es die „zeitlich-logische Reihenfolge“ missachtet. Man kann nicht sterben, wenn man nie am Leben war. Henne und Ei quasi.
Das Gericht kann nicht vorher entsiegeln und danach nach Verfahrensrelevanz aussortieren, weil ja bereits entsiegelt, ergo ist es unmöglich beides _gleichzeitig_ zu entscheiden.
Zudem wie soll man sich dagegen verteidigen? Ich kann nicht beschweren, dass ‚X‘ zu den Akten genommen wurde, wenn ich ja noch nicht weiss, ob es aussortiert wurde (also tatsächlich in den Akten landet), aber die Entsiegelung ja bereits gefällt ist, beginnt die Frist…
wenn das Expertiseverfahen und das anschliessende Triageverfahren bis ins letzte Detail, teilweise während mehreren Jahren, durchgezogen wird.
Und warum sollte das überhaupt länger dauern? Aussortiert werden muss ja sowieso! Ob es danach oder davor passiert, wird es ja nicht kürzer machen _können_. Eine prozessuale Verfügung weniger – falls ein Experte/Gutachter/Sachverständige mit der Aussortierung beauftragt wird – würde man damit sparen.
Sowieso kann man mit dem Argument „es ist praktischer, schneller, günstiger und einfacher“ nichts für sich gewinnen, denn theoretisch (in Max gezogen) ist es doch „praktischer, schneller, günstiger und einfacher“, wenn der Polizist direkt vor Ort und Stelle mit der Schusswaffe einen Entscheid fällen dürfte – das bisschen Blei kostet weitaus weniger.
Lösung, Frist beginnt nach Aussortierung und Staatsanwaltschaft übernimmt erstinstanzliche Aufgaben des ZMG
Sichergestellte Beweise sollte man als „Beschlagnahmte Entitäten“ (die ja wie heute auch schon nicht immer beweiswürdig sind, ergo keine echten Beweise darstellen) einführen und erst nach Entscheid und durch die Aussortierung, würden diese zu (entsiegelten) Beweisen werden. Was natürlich bedingt, dass die Frist erst nach der Aussortierung beginnt.
Günstiger (und korrekt) wäre es, wenn man dies gleich der Staatsanwaltschaft überlässt oder zumindest ihnen die Kosten zurechnet, denn sie verursachen ja diese Kosten, weil sie es sind, die diese „Beweise“ haben wollen, somit Kostenverursacher sind. Leider ist es ja die Staatsanwaltschaft, vor dem man diese Informationen verbergen möchte (Entitäten die nicht entsiegelt wurden z.B. Nacktfotos von sich selbst), aber realistisch gesehen, hatten sie diese ja schon zur Hand. Die Siegelung ist oft nichts mehr, als ein Plastikbeutel mit einem Kleber auf dem „Versiegelt“ draufsteht. Wenn sie wollen, hindert sie praktisch nichts, diese trotzdem einzusehen.
@Laie: Lösungsansatz: das ZMG könnte man in diesem Prozess direkt raushalten oder am Schluss als Genehmigungsbehörde einschalten. Die StA stellt elektronische Datenträger sicher. Die Verteidigung kann dagegen innert 10 Tage eine „Einsprache“ unter Angabe der jetzt bereits geltenden Siegelungsgründe eingeben. Die StA mandatiert (falls notwendig) einen Experten bzw. direkt die Cyberabteilung der Kriminalpolizei zwecks Aufarbeitung der Daten. Anschliessend triagiert die StA direkt, allenfalls in einer Sitzung mir der beschuldigten Person. Wo ist das Problem, wenn die StA die geschützten Geheimnisse sieht? Sie sind ja in jedem Fall geschützt und unverwertbar. Dieses Vorgehen wäre effizient und kostengünstig.
@Anonym: Ihr Vorschlag verkennt das Problem. Was absolut geschützt ist, geht auch den StA nichts an, zumal sie nach einer Anklage sogar Partei wird (was eine andere Fehlkonstruktion ist). Deshalb schaltet man als Notlösung die Judikative ein. Die gehen diese Geheimnisse zwar auch nichts an, aber sie kann wenigstens den Schutz vor Offenbarung gegenüber der Exekutive gewährleisten.