Schlechtverteidigung und richterliche Fürsorgepflicht

Verletzt ein Verteidiger seine Berufspflichten, kann dies – in gravierenden Fällen und wenn das Gericht nicht interveniert – zugleich die richterliche Fürsorgepflicht verletzen. Jedenfalls in Fällen von notwendiger Verteidigung müssen solche Fehler zur Aufhebung des Urteils führen. Die Rechtsprechung ist diesbezüglich aber mit guten Gründen zurückhaltend (zurückhaltender als berufsrechtliche Aufsichtsbehörden).

Ein Beispiel – leider mit etwas dünnen Angaben zum Sachverhalt – findet sich in einem heute ins Netz gestellten Urteil des Bundesgerichts (BGer 6B_4/2021 vom 02.06.2021):

Inwiefern die geltend gemachten Verfehlungen seines Wahlverteidigers eine schwere Pflichtverletzung darstellten, die ein Einschreiten der Vorinstanz aufgrund ihrer richterlichen Fürsorgepflicht erfordert hätte, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Eine solche ist denn auch nicht ersichtlich. Er bringt zwar vor, dass die Identität der angeblichen Übersetzerin für das Verfahren zentral gewesen wäre. Jedoch hatte er im Laufe des Verfahrens zahlreiche Möglichkeiten, sich selber zu deren Identität zu äussern. Es liegt im Übrigen im Ermessen des Wahlverteidigers und ist Frage von dessen Verteidigungsstrategie, ob er ein Beweismittel einreicht bzw. den Antrag auf Vorladung einer Zeugin stellt. Aus dem blossen Umstand, dass das angefochtene Urteil den Vorstellungen des Beschwerdeführers bzw. seines neuen Rechtsvertreters nicht entspricht und letzterer gegebenenfalls eine andere Verteidigungsstrategie als sein (e) Vorgänger gewählt hätte, lässt sich noch kein offensichtliches Fehlverhalten des Wahlverteidigers ableiten, welches unter Berufung auf eine Verletzung der richterlichen Fürsorgepflicht zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen muss. Zudem hat sich die Vorinstanz entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers im Verfahren korrekt verhalten und ihn explizit auf die angebliche Übersetzerin angesprochen. Indem der Beschwerdeführer auf die Fragen der Vorinstanz vage Antworten gab und sich in Widersprüche verstrickte, war diese nicht zu einem Einschreiten in die private Verteidigung gehalten. Von einer substanziellen Einschränkung der Verteidigungsrechte kann bereits aus diesem Grund nicht gesprochen werden. Eine solche ist denn auch aus den weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach der Verteidiger das Urteil der ersten Instanz hätte übersetzen und die Höhe der an die Bescherdegegnerin 2 getätigten Rückzahlungen hätte darlegen sollen, nicht ersichtlich. Insgesamt sind keine schwerwiegenden Verletzungen der anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum Schaden des Beschwerdeführers oder krasse Säumnisse durch den Wahlverteidiger erkennbar. Ebenso wenig hat die Vorinstanz ihre richterliche Fürsorgepflicht verletzt (E. 4.3).