“Stealthing” als sexuelle Belästigung

Nach einem neuen Grundsatzentscheid kann Stealthing nicht als Schändung qualifiziert werden (BGE 6B_265/2020 vom 11.05.2020, Publikation in der AS vorgesehen; vgl. auch BGer 6B_34/2020 vom 11.05.2022).

Hier die Zusammenfassung des sehr einlässlich begründeten Entscheids:

Damit bleibt festzuhalten, dass Wehrlosigkeit im Sinn von Art. 191 StGB nach wie vor eine Situation meint, in der das Opfer infolge einer persönlichen Eigenschaft oder wegen eines vorübergehenden kognitiven oder physischen Schwächezustands dem Täter ausgeliefert ist. Ein solcher Zustand war bei der Privatklägerin nicht gegeben (vgl. TRECHSEL/BERTOSSA, in: Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N 4 zu Art. 191 StGB; EL-GHAZI, a.a.O., S. 679; MEIER/HASHEMI, a.a.O., S. 122; SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 632). Die Täuschung des Beschwerdegegners liess sie irrtümlich glauben, der Geschlechtsverkehr erfolge durchgehend geschützt. Allein deshalb war ihr die Gelegenheit genommen, abwehrend zu reagieren. Entscheidend ist jedoch, dass die Fähigkeit zur Abwehr als solche intakt blieb.  

Der Umstand, dass der Beschwerdegegner das Kondom während des Geschlechtsverkehrs abredewidrig entfernt und den Verkehr ohne das Wissen der Privatklägerin ungeschützt fortgesetzt haben soll, begründet mithin keine Widerstandsunfähigkeit im Sinn von Art. 191 StGB. Der vorinstanzliche Freispruch erweist sich im Ergebnis als rechtens (E. 5.5, Hervorhebung durch mich).