Verteidigungsdilemma?
Im Kanton Solothurn wurde ein Mann nach dem hier besonders beliebten Einsatz verdeckter Ermittler wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt. Vor Bundesgericht machte er geltend, sein Selbstbelastungsprivileg sei in unzulässiger Weise umgangen worden (Unverwertbarkeit des entscheidenden Amtsberichts). Die Erwägungen des Bundesgerichts zum Vorgehen der verdeckten Ermittlern machen einen – jedenfalls mich – sprachlos (BGer 6B_1294/2023 vom 23.10.2025). Liest man dann aber weiter (ab E. 3), nimmt man zur Kenntnis, dass der Beschwerdeführer behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben.
Vermutlich habe ich den Entscheid einfach nicht verstanden. Andernfalls wäre es ein Musterbeispiel für ein (vermeidbares) Dilemma.
@KJ: Besten Dank für die Darstellung dieses interessanten Falles. Meines Erachtens haben Sie das (vermeidbare) Dilemma zutreffend erfasst.
A) Zum Dilemma:
Der Verteidiger war gezwungen, auf zwei Ebenen zu argumentieren:
1. Äussere Verteidigungslinie (Frage der Verwertbarkeit):
Erstmal stellte sich die Frage, ob durch die konkrete Ausgestaltung der verdeckten Ermittlung insb. das Selbstbelastungsprivileg verletzt wurde. In diesem Zusammenhang war auch zu prüfen, ob die Einnahme von Alkohol die Denk- und Willensfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigt hatte.
Im Sinne eines Eventualarguments: Gelangt das Sachgericht zum Schluss, der Amtsbericht sei verwertbar, und wird damit die äussere Verteidigungslinie durchbrochen, ist zur materiellen Prüfung überzugehen.
2. Innere Verteidigungslinie (materielle Prüfung):
Auf dieser Ebene wurde bekanntlich unter E. 3 geltend gemacht, die angebliche Tat sei durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt, konkret durch eine klassische Notwehrsituation.
B) Zur Vermeidbarkeit des Dilemmas:
Ich bezweifle, dass dem Verteidiger realistisch eine andere Vorgehensweise offenstand. Zwar hätte er im Vorverfahren die verdeckte Ermittlung gestützt auf Art. 298 Abs. 3 StPO rügen können (ohne damit auf die Notwehr einzugehen). Aus E. 1.1 ergibt sich, dass kein entsprechendes Rechtsmittel ergriffen wurde – meines Erachtens zu Recht. Es erscheint äusserst fraglich, ob sich die kantonale Beschwerdeinstanz im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zur konkreten Beweisverwertbarkeit bzw. zur Frage der Tatprovokation / zulässigen Einwirkung materiell geäussert oder nicht vielmehr an das Sachgericht verwiesen hätte. Gerade weil kein Fall vorlag, in dem die Unverwertbarkeit des umstrittenen Aktenstücks offensichtlich feststand (vgl. BGE 143 IV 475 E. 2.7).
Hinzu kommt, dass ein anschliessender Weiterzug ans BGer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil vorausgesetzt hätte – ein solcher war zum damaligen Verfahrenszeitpunkt vernünftigerweise nicht anzunehmen.