Willkür im Strafvollzug

Der Straf- und Massnahmenvollzug zeichnet sich durch “geteilte” Verantwortlichkeiten (Richter, Vollzugsämter, Gefängnisdirektionen, Therapeuten, Gutachter, Kofako) aus, die dazu führen, dass selbst gewichtige Umstände, welche für einen Häftling sprechen, ignoriert oder schlimmstenfalls ins Gegenteil verkehrt werden (bspw. wird Wohlverhalten auffällig oft als raffinierte Anpassungsleistung abqualifiziert).

Die Nichtberücksichtigung positiver, für den Häftling sprechender Umstände wirft das Bundesgericht in einem neuen Entscheid dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau vor (BGer 6B_1029/2014 vom 17.07.2015):

Auf die psychiatrischen Gutachten der PDAG aus den Jahren 2007, 2010 und 2011 nimmt [die Vorinstanz] in ihren Erwägungen ebenso wenig Bezug wie auf die referierten Vollzugs- und Therapieberichte. Eine solche Aktenwürdigung ist einseitig und unvollständig, umso mehr, als es sich bei den nicht berücksichtigten Akten um in der Sache wesentliche Beurteilungsgrundlagen handelt. So äussern sich die nach wie vor als aktuell zu bezeichnenden Gutachten der PDAG und die Vollzugs- sowie die Therapieberichte zu den hier relevanten Fragen sachlich und umfassend. Ihr Nichteinbezug in die Entscheidfindung ist nicht haltbar (E. 5.1).

Bleibt trotz Nichtberücksichtigung positiver Umstände Begründungsbedarf, um Vollzugslockerungen zu verhindern, werden kurzerhand die Fakten verdreht:

Die Feststellungen der Vorinstanz finden in den Akten keine Stütze. Die Empfehlung der Gutachterin und diejenige der KoFako unterscheiden sich nicht lediglich “marginal” bzw. sind nicht nur “anfänglich etwas abweichend formuliert”. Sie stehen sich betreffend die umstrittene Frage der Gewährung von Vollzugslockerungen vielmehr diametral entgegen. Selbst in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 29. November 2013 zum Bericht der KoFako erachtet die Gutachterin unbegleitete Urlaube und die Versetzung in eine offene Anstalt aufgrund der nach wie vor als gering eingestuften Rückfall- und Fluchtgefahr als vertretbar (…) [E. 5.2.2].

Das Ergebnis laut Bundesgericht:

Das Gegenteil ist der Fall. Das Vorgehen der Vorinstanz, bedeutsame unterschiedliche Schlussfolgerungen in den Einschätzungen der KoFako und der Gutachterin abzuschwächen, ist unzulässig und willkürlich (E. 5.2.2).

Da fragt man sich unweigerlich, wie solche kantonalen Entscheide möglich sind. Mögliche Antworten liegen in den eingangs erwähnten “geteilten” Verantwortlichkeiten, aber wohl insbesondere daran, dass die “rule of law” in der Schweiz nicht den Stellenwert hat, den sie in einem Rechtsstaat eigentlich haben müsste.