Untersuchungshaft auch für Unschuldige

Zugegeben, in Untersuchungshaft befinden sich per definitionem nur Unschuldige bzw. eben als unschuldig geltende Personen. Nun können aber auch tatsächlich Unschuldige inhaftiert werden.

Das Bundesgericht hatte die Haftbeschwerde eines Mannes zu prüfen, der bei einem Suizidversuch mit einem Auto einen anderen Automobilisten tödlich verletzt hatte. Er selbst überlebte schwer verletzt und wurde nach der Spitalentlassung in Untersuchungshaft genommen. Ein Gutachten attestiert ihm nun aber fehlende Schuldfähigkeit. Eine freiheitsentziehende Massnahme wird nicht empfohlen.

Das ändert nach einem neuen, zur Publikation in der AS vorgesehenen Urteil des Bundesgerichts nichts daran, dass der Mann, der bereits fast zwei Jahre in Untersuchungshaft sitzt, weiterhin inhaftiert bleibt (BGE 1B_322/2017 vom 24.08.2017).

Dass Massnahmen auch gegen Schuldunfähige verfügt werden können, begründet das Bundesgericht wie folgt:

Gemäss dem schweizerischen Sanktionenrecht kommt eine freiheitsentziehende Strafe oder Massnahme ungeachtet einer (vom Sachrichter zu prüfenden) vollständigen oder teilweisen Schuldunfähigkeit (Art. 19 StGB) in Betracht: Die Höhe der vom Sachrichter festgestellten strafrechtlichen Schuld wirkt sich auf das Strafmass aus (Art. 47 StGB). Selbst bei vollständig fehlender Schuldfähigkeit ist die gerichtliche Anordnung einer (stationären) Massnahme nicht ausgeschlossen (Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Art. 59-60 StGB; s.a. Art. 19 Abs. 4 und Art. 263 StGB). Daher kann Untersuchungs- und Sicherheitshaft selbst dann zulässig sein, wenn die Aussicht besteht, dass der Beschuldigte von Schuld und Strafe freigesprochen werden könnte. Das Gesetz sieht denn auch insbesondere den vorzeitigen stationären Massnahmenvollzug (Art. 236 StPO) als zulässige strafprozessuale Haftart ausdrücklich vor (E. 2.2).

Daraus folgert das Bundesgericht, dass sich der Tatverdacht nur auf Tatbestandsmässigkeit und Rechtswidrigkeit beziehen muss.

Insofern bezieht sich der vom Haftrichter zu prüfende dringende Tatverdacht grundsätzlich auf ein tatbestandsmässiges und rechtswidriges Verbrechen oder Vergehen (Art. 221 Abs. 1 Ingress StPO). Das Vorliegen und das Ausmass der strafrechtlichen Schuldfähigkeit sowie die schuldangemessene bzw. sachlich gebotene (verschuldensunabhängige) Sanktion ist demgegenüber grundsätzlich vom Sachrichter zu prüfen. Anders verhält es sich nur, wenn ausnahmsweise schon im Haftprüfungsverfahren klar ist, dass weder eine Strafe, noch eine freiheitsentziehende Massnahme in Frage kommen kann (E. 2.2).

Der Rest liest sich als ergebnisorientierte Begründung der Abweisung der Beschwerde. Nicht schwierig zu begründen war eigentlich nur die Fluchtgefahr.