Anklagegrundsatz verletzt, antizipierte Beweiswürdigung zulässig

Das Bundesgericht wirft dem Obergericht ZH vor, einen Beschuldigten in Verletzung des Anklagegrundsatzes verurteilt zu haben, Die Angaben in der Anklage seien derart pauschal gewesen, dass eine wirksame Verteidigung kaum möglich gewesen sei (BGer 6B_1416/2020 vom 30.06.2021):

Bezogen auf den Beschwerdeführer selbst wird lediglich ausgeführt, er habe mit den restlichen Personen vereinbart, über das Busunternehmen B. AG fortsetzt Cannabis einzuführen. Er sei grundsätzlich für die Organisation des Einkaufs und den Verkauf zuständig gewesen und habe das für den Kauf benötigte Bargeld den anderen beschuldigten Personen teilweise persönlich übergeben. Er habe das Cannabis am Abladeort abgeholt oder eine Drittperson damit beauftragt (…). Was der Beschwerdeführer jedoch konkret wann und wo getan haben soll, bleibt auch unter Berücksichtigung dieser Ausführungen unklar. Folgt man der Anklage, soll der Beschwerdeführer während drei Jahren an mindestens einem beliebigen Tag eines jeden Monats an der Einfuhr von jeweils mindestens 40 kg Cannabis an irgendeinem Ort in der Schweiz mitgewirkt haben. Insbesondere die angeblichen Tatzeitpunkte innerhalb des dreijährigen Anklagezeitraums nach Ziffer 1.1.1.1 lit. a sind unklar. Mit einer derart pauschalen Anklage kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer genau wusste, welcher konkreter Handlungen er beschuldigt wird. Mit Blick auf nicht spezifizierte Tatzeitpunkte im Zeitraum von 2010 bis 2012 konnte er sich auch unbesehen von den örtlichen und sachlichen Unklarheiten kaum wirksam verteidigen. Der Beschwerdeführer hätte unmöglich lückenlos aufzeigen können, was er während dieser ganzen Zeit getan hatte und ein Alibibeweis erscheint geradezu unmöglich. Damit grenzt die Anklageschrift die Tatvorwürfe für den Zeitraum gemäss Ziff. 1.1.1.1 lit. a insgesamt nicht genügend ein. Der diesbezügliche Schuldspruch verletzt den Anklagegrundsatz. Die Beschwerde ist in diesem Punkt folglich gutzuheissen und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen (E. 1.4, Hervorhebungen durch mich). 

Da war das Bundesgericht gerade bei BM-Delikten aber auch schon strenger. Sehr streng war es dafür in Bezug auf eine andere Rüge des Beschwerdeführers. Er hatte nämlich die Befragung eines Mitbeschuldigten beantragt, der im abgekürzten Verfahren verurteilt worden war und dem Beschwerdeführer als Kronzeuge erschien. Dies und die weiteren Beweisanträge waren vor Obergericht abgewiesen worden, was mir als eindeutig unzulässige antizipierte Beweiswürdigung und damit eine Verletzung des Beweisantragsrechts erscheint.

Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers setzte sich die Vorinstanz mit seiner Rüge betreffend die Aussagen von I. auseinander. Dass ihre Begründung Begriffe wie Verwertbarkeit und Druckausübung, nicht aber Kronzeuge oder Versprechungen enthält, ändert an der Vollständigkeit der vorinstanzlichen Prüfung und der Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nichts.  Was der Beschwerdeführer weiter vorbringt, ist nicht geeignet, die vorinstanzliche Erkenntnis, es sei kein unzulässiger Druck auf I. ausgeübt worden und seine Aussagen seien glaubhaft, als willkürlich erscheinen zu lassen. Der beschwerdeführerische Standpunkt, die Staatsanwaltschaft habe dem Mitbeschuldigten H. das abgekürzte Verfahren nur unter der Voraussetzung belastender Aussagen zum Nachteil weiterer Beschuldigter angeboten, und infolgedessen sei davon auszugehen, dies sei bei I. ebenfalls der Fall gewesen, ist spekulativ. Konkrete Fakten oder Aussagen von I., die auf eine unzulässige Druckausübung auf diesen hindeuten, macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Dies erscheint auch deshalb zumindest unwahrscheinlich, weil sich I., wie von der Vorinstanz dargelegt, mit dessen Aussagen gegen den Beschwerdeführer als Mittäter selbst belastete [das ist bei Kronzeugen ja die Regel]. Ferner kommen beide Vorinstanzen auch nachvollziehbar zum Schluss, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sei schon auf den Beschuldigten H. keinerlei Druck ausgeübt worden, sondern dieser sei schlicht frustriert gewesen, dass der Staatsanwalt nicht früher dem abgekürzten Verfahren zugestimmt habe. Dazu äussert sich der Beschwerdeführer nicht. Vor diesem Hintergrund durfte die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung ohne Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auf die erneute Befragung von Mitbeschuldigten sowie die Herausgabe der Honorarnoten deren Verteidiger an den Beschwerdeführer verzichten. Schliesslich begründet der Beschwerdeführer auch nicht, weshalb mit allfälligen neuen Aussagen von I. dessen früheren belastenden Aussagen und insbesondere die Erkenntnisse aus der Konfrontationseinvernahme mit dem Beschwerdeführer zwingend widerlegt würden (E. 2.4, Hervorhebungen und Klammerbemerkung durch mich). 

Diese Argumentation überzeugt nicht und die der Vorinstanz zugestandene antizipierte Beweiswürdigung ist m.E. rechtlich unhaltbar. Antizipierte Beweiswürdigung ist nicht zulässig, wenn darüber spekuliert wird, die entsprechende Beweisabnahme sei unerheblich (vgl. dazu Ruckstuhl/Dittmann/Arnold, Strafprozessrecht, Zürich 2011, N 126 und 427). So wirft das Bundesgericht dem Beschwerdeführer im Ergebnis vor, er habe nicht dargelegt, was ihn die Vorinstanz gar nicht darlegen liess.