Dokumentationspflicht durchgesetzt

Das Bundesgericht begründet in einem neuen Urteil, warum Förmlichkeiten eben zentral sind. Im fraglichen Strafverfahren ging es um die Frage, ob eine Blutentnahme wie gesetzlich vorgeschrieben durch die Staatsanwaltschaft angeordnet wurde (BGer 6B_307/2017 vom 19.02.2018).

Die Vorinstanz (Obergericht AG) hatte die Frage zugunsten der Staatsanwaltschaft entschieden und gesagt, die Staatsanwaltschaft habe einfach vergessen, die Anordnung zu dokumentieren. Das lässt das Bundesgericht nicht durch:

Es ist unbestritten, dass sich in den Akten der zuständigen Staatsanwaltschaft kein Beleg dafür findet, wonach diese die Abgabe einer Blut- oder Urinprobe, deren Verweigerung dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wird, im Voraus schriftlich angeordnet oder die Anordnung nachträglich schriftlich bestätigt hätte. Unter diesen Umständen rügt der Beschwerdeführer zu Recht eine Verletzung von Art. 198 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 241 Abs. 1 StPO. Dies würde angesichts des Fehlens einer nachträglichen schriftlichen Bestätigung selbst dann gelten, wenn eine telefonische Anordnung durch die Staatsanwaltschaft erfolgt sein sollte, was sich aus deren Akten aber ebenfalls nicht ergibt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann ein Vermerk hierüber im Polizeirapport vom 16. Juli 2014, welcher keine Angaben zur Form der Anordnung enthält, nicht genügen. Abgesehen davon, dass der Rapport erst eineinhalb Monate nach dem Vorfall und damit nicht zeitaktuell erstattet wurde, handelt es sich dabei um keine Bestätigung der Staatsanwaltschaft als zuständige Behörde. Damit würde die gesetzliche Kompetenzordnung unterlaufen und einem möglichen Missbrauch durch die Polizei Tür und Tor geöffnet. Dass nach Auffassung der Vorinstanz keine Anzeichen für einen Missbrauch bestehen, ändert nichts.
Im Übrigen will nicht einleuchten, weshalb ein Vermerk bezüglich der behaupteten telefonischen Anordnung in den Akten der Staatsanwaltschaft fehlt. Auch sie wäre verpflichtet gewesen, diese schriftlich zu dokumentieren, sofern sie denn erfolgte. Es gehört zu den elementaren Grundsätzen des Strafprozessrechts, dass Erhebungen im Rahmen des Verfahrens aktenkundig gemacht werden. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ergibt sich der Anspruch auf Akteneinsicht. Soll dieser effizient wahrgenommen werden können, ist erforderlich, dass alles in den Akten festgehalten wird, was zur Sache gehört und entscheidwesentlich sein kann. Damit besteht spiegelbildlich zum Recht auf Akteneinsicht eine Aktenführungs- und Dokumentationspflicht der Behörden. Diese sind verpflichtet, alle verfahrensrelevanten Vorgänge schriftlich festzuhalten und die Akten vollständig und korrekt anzulegen und zu führen. In einem Strafverfahren bedeutet dies, dass die Beweismittel, jedenfalls soweit sie nicht unmittelbar an der gerichtlichen Hauptverhandlung erhoben werden, in den Untersuchungsakten vorhanden sein müssen und dass aktenmässig belegt sein muss, wie sie produziert wurden, damit die beschuldigte Person in der Lage ist zu prüfen, ob sie inhaltliche oder formelle Mängel aufweisen und gegebenenfalls Einwände gegen deren Verwertbarkeit erheben kann. Dies ist Voraussetzung dafür, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigungsrechte wahrnehmen kann. Die Grundsätze zur Aktenführungs- und Dokumentationspflicht werden in der StPO konkretisiert (vgl. Art. 100 StPO; zum Ganzen: Urteil 6B_307/2012 vom 14. Februar 2013 E. 3.1 mit Hinweisen; nicht publ. in BGE 139 IV 128). Es kann nicht angehen, das Fehlen einer schriftlichen Anordnung resp. Dokumentation damit zu rechtfertigen, dass die Staatsanwaltschaft dies schlicht vergessen habe, wie die Vorinstanz argumentiert (E. 1.3.1, Hervorhebungen durch mich).
Der Entscheid sollte ein paar Strafverfolger wachrütteln. Aber wahrscheinlich verschlafen sie ihn.