Grundrechtswidrige Funk- und Kabelaufklärung?

Nach einem heute veröffentlichten Grundsatzentscheid des Bundesgerichts (BGE 1C_377/2019 vom 01.12.2020, Publikation in der AS vorgesehen) wird das Bundesverwaltungsgericht nach einer erfolgreichen Beschwerde u.a. der Digitalen Gesellschaft prüfen müssen,

ob die Funk- und Kabelaufklärung Grund- und Konventionsrechte der Beschwerdeführenden verletzt und, wenn ja, welche Rechtsfolge daran zu knüpfen ist. Bei der gebotenen Prüfung, ob das geltende Regime der Funk- und Kabelaufklärung angemessenen und wirksamen Schutz vor Missbrauch bietet (vgl. zu den diesbezüglichen Prüfungspunkten EGMR, zitiertes Urteil  Big Brother Watch, insbesondere §§ 314 ff., §§ 328 – 383), sind nicht nur die gesetzlichen Grundlagen, sondern auch die Vollzugspraxis und die Effektivität der vorgesehenen Kontrollmechanismen zu berücksichtigen (oben E. 7.1 und 9.3; BGE 138 I 6 E. 7.4 S. 35 f.). Soweit nötig werden hierfür Berichte von Überwachungs- und Aufsichtsinstanzen sowie sachverständiger Personen und Verbände einzuholen sein (E. 11).  

Eine Zusammenfassung der wesentlichen Erwägungen findet sich in der Medienmitteilung des Bundesgerichts. Hier die Anträge, welche die Beschwerdeführer zuerst dem NDB unterbreitet hatten:

  • 1. Der Betrieb der Funk- und Kabelaufklärung durch den NDB und weitere Stellen, namentlich durch das Zentrum für elektronische Operationen der Armee (ZEO), sowie jegliche Tätigkeiten, die dem Betrieb der Funkaufklärung und Kabelaufklärung dienen, seien zu unterlassen.
  • 2. Der NDB habe jegliche in den Betrieb der Funk- und Kabelaufklärung involvierte Stellen und Personen anzuweisen, ihre diesbezügliche Tätigkeit zu unterlassen.
  • 3. Es sei den GesuchstellerInnen mitzuteilen, ob und in welcher Weise Kommunikation von ihnen Gegenstand der Funk- oder Kabelaufklärung ist oder gewesen ist, und es sei ihnen mitzuteilen, welche sie betreffenden Daten, welche aus der Funk- oder Kabelaufklärung stammen, vom NDB oder vom ZEO bearbeitet werden, einschliesslich der Auskunft über weitere Daten, welche im Zusammenhang mit diesen aus der Funk- oder Kabelaufklärung stammenden Daten bearbeitet werden.
  • 4. Es sei festzustellen, dass die Funk- und Kabelaufklärung die GesuchstellerInnen in ihren Grundrechten verletzt, namentlich ihrem Recht auf Achtung des Intim-, Privat- und Familienlebens, auf Schutz der Privatsphäre, einschliesslich Achtung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs, auf Schutz vor Missbrauch der persönlichen Daten und die informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK, Art. 17 UNO-Pakt II, Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten [Konvention Nr. 108 des Europarates, SR 0.235.1]), in ihrer Freiheit der Meinungsäusserung, der Meinungs- und Informations- sowie die Medienfreiheit (Art. 16 BV, Art. 10 EMRK, Art. 19 UNO-Pakt II) und der Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV, Art. 11 EMRK), in ihrer persönlichen Freiheit und der Bewegungsfreiheit (Art. 10 Abs. 2 BV, Art. 8 EMRK) sowie ihre Unschuldsvermutung (Art. 6 EMRK, Art. 32 BV).  
  • 5. Es sei festzustellen, dass die Funk- und Kabelaufklärung die GesuchstellerInnen 4, 5 und 6 als JournalistInnen in ihrem Anspruch auf Medienfreiheit und auf Quellenschutz (Art. 17 BV und Art. 10 EMRK) verletzt.  
  • 6. Es sei festzustellen, dass die Funk- und Kabelaufklärung den Gesuchsteller 8 im Berufsgeheimnis als Rechtsanwalt und dadurch in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens, auf Schutz der Privatsphäre, einschliesslich Achtung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs, auf Schutz vor Missbrauch der persönlichen Daten und die informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK, Art. 17 UNO-Pakt II, Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten [Konvention Nr. 108 des Europarates, SR 0.235.1]) und in seiner Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) verletzt; […].” 

Das Bundesgericht beuaftragt nun direkt das Bundesverwaltungsgerichts mit der Behandlung dieser Rechtsbegehren:

Da der NDB auf die Begehren der Beschwerdeführenden nicht eingetreten ist, wäre die Sache grundsätzlich an ihn zurückzuweisen. Allerdings hat er in seinen Vernehmlassungen vor Bundesverwaltungsgericht ausführlich dargelegt, weshalb er die Funk- und Kabelaufklärung als verfassungs- und EMRK-konform erachtet. Er beantragte, von einer Rückweisung an ihn sei abzusehen, weil er das Gesuch, wäre er darauf eingetreten, ohne jeden Zweifel abgewiesen hätte. Eine Rückweisung an den NDB würde unter diesen Umständen einen Leerlauf darstellen. Es rechtfertigt sich daher, die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen. Dieses wird zu prüfen haben, ob die Funk- und Kabelaufklärung Grund- und Konventionsrechte der Beschwerdeführenden verletzt und, wenn ja, welche Rechtsfolge daran zu knüpfen ist. Bei der gebotenen Prüfung, ob das geltende Regime der Funk- und Kabelaufklärung angemessenen und wirksamen Schutz vor Missbrauch bietet (vgl. zu den diesbezüglichen Prüfungspunkten EGMR, zitiertes Urteil  Big Brother Watch, insbesondere §§ 314 ff., §§ 328 – 383), sind nicht nur die gesetzlichen Grundlagen, sondern auch die Vollzugspraxis und die Effektivität der vorgesehenen Kontrollmechanismen zu berücksichtigen (oben E. 7.1 und 9.3; BGE 138 I 6 E. 7.4 S. 35 f.). Soweit nötig werden hierfür Berichte von Überwachungs- und Aufsichtsinstanzen sowie sachverständiger Personen und Verbände einzuholen sein (E. 11, Hervorhebungen durch mich).  

Beim vorgelegten Tempo werden wir wohl erst in ein paar weiteren Jahren endlich erfahren, wie es sich nun mit den gestellten Fragen verhält und was wir mangels Verfassungsgerichtsbarkeit damit machen werden. Aber trotzdem: der grosse Dank gebührt nicht nur dem Bundesgericht, sondern primär auch den Beschwerdeführern.