Härtefallbeurteilung beim Landesverweis

Das Bundesgericht kassiert eine Landesverweisung, welche das Obergericht AG einer deutschen Sozialhilfebetrügerin (60 Tagessätze) auferlegt hatte (BGer 6B_1161/2019 vom 13.10.2020). Es handelte sich auch gemäss Bundesgericht gerade nicht mehr um einen leichten Fall nach Art. 148a Abs. 2 StGB, weshalb eine Härtefallprüfung mit Interessenabwägung erforderlich wurde. Diese hatte die Vorinstanz bundesrechtswidrig vorgenommen:

Der hier drohende Eingriff in eine gelebte familiäre Beziehung ist in die Härtefallbeurteilung resp. Interessenabwägung nach Art. 66a Abs. 2 StGB einzubeziehen und nicht erst nachträglich im Rahmen einer sinngemäss angewendeten Ausnahmeklausel nach Art. 67 Abs. 5 AIG (in der Fassung vom 1. Oktober 2016) zu berücksichtigen (vgl. BUSSLINGER/UEBERSAX, Härtefallklausel und migrationsrechtliche Auswirkungen der Landesverweisung, in: Plädoyer 2016, H. 5 [Dossier] S. 105). Der direkte Kontakt zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer pflegebedürftigen Mutter wäre auf fünf Jahre hinaus praktisch verunmöglicht, es sei denn, die Mutter könnte zumutbarerweise für Besuche jeweils zu ihrer Tochter nach Deutschland gebracht und dann wieder in das Pflegeheim in der Schweiz zurückgeführt werden. Doch selbst in diesem Fall wäre der Kontakt offenkundig stark erschwert. Damit hat die Vorinstanz bei der Beurteilung des Härtefalls und der anschliessenden Interessenabwägung (Art. 66 Abs. 2 erster Satz a.E. StGB) die Tragweite der strittigen Massnahme verkannt. Dies verletzt Bundesrecht (E. 2.2).