Munteres Zuständigkeitsraten

Das Bundesgericht hatte die nicht ganz einfache Aufgabe zu entscheiden, wer für die Beurteilung eines Entsiegelungsgesuchs der Oberzolldirektion zuständig ist. Diese hatte in einem Rechtshilfeverfahren Akten durch die Zollfahndung beschlagnahmen und versiegeln lassen und blieb darauf sitzen, weil sich das Bundesstrafgericht als Entsiegelungsbehörde für nicht zuständig erklärt hatte (BGE 1C_365/2011 vom 06.01.2012, AS-Publikation vorgesehen).

Als richterliche Entsiegelungsinstanz – der Bund hat bekanntlich vornehm darauf verzichtet, ein ZMG einzurichten – kamen in Frage:
– I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
– II. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
– Zwangsmassnahmengericht des Kantons Tessin (Sitz der Inhaberin der versiegelten Dokumente)
– Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern (Sitz der Oberzolldirektion)

Das Bundesgericht verknurrt das Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer mit nicht vorbefassten Richtern):

Kann demnach die Oberzolldirektion kein kantonales Zwangsmassnahmengericht um Entsiegelung ersuchen und besteht kein Zwangsmassnahmengericht des Bundes, führt die sinngemässe Anwendung von Art. 248 Abs. 3 lit. a StPO gemäss Art. 9 Satz 2 IRSG zu keinem Ergebnis. Gemäss Art. 12 Abs. 1 IRSG bleibt es damit bei der Anwendbarkeit des VStrR. Danach ist die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid über das vorliegende Entsiegelungsgesuch zuständig (E 2.2.4).

Damit stellte sich aber ein zusätzliches Problem, denn das Bundesstrafgericht hat seine beiden Beschwerdekammern per 1. Januar 2012 zusammengelegt. Weil es auch für Beschwerden gegen die Schlussverfügung zuständig ist, müsste es seine eigene Zwischenverfügung über die Entsiegelung überprüfen. Für das Bundesgericht stellt dies aber kein Argument dar und rüffelt das Bundesstrafgericht wie folgt:

Das Bundesstrafgericht hat mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 unter Änderung von Art. 19 BStGerOR die beiden Beschwerdekammern zusammengelegt.
Gemäss Art. 33 lit. b StBOG besteht das Bundesstrafgericht aus einer oder mehreren Beschwerdekammern. Es geht mit Blick auf die verfassungsmässige Garantie des unvoreingenommenen und damit nicht vorbefassten Gerichts (Art. 30 Abs. 1 BV) nicht an, dass die Beschwerdekammer auf Beschwerde gegen die Schlussverfügung hin ihren eigenen Entsiegelungsentscheid überprüft. Folglich muss das bis zum 31. Dezember 2011 geltende System mit zwei Beschwerdekammern in dieser besonderen Situation beibehalten werden. Zumindest muss sich die Beschwerdekammer im Beschwerdeverfahren aus anderen Richtern zusammensetzen. Nur so lässt sich die gesetzliche Regelung, wonach in einem Fall wie hier die Beschwerdekammer zum Entsiegelungsentscheid zuständig ist, umsetzen. Das Bundesstrafgericht muss sich so organisieren, dass es seine ihm vom Gesetz übertragenen Aufgaben in verfassungsmässiger Weise nachkommen kann. Bei Art. 33 lit. b StBOG handelt es sich um eine offene Gesetzesbestimmung. Eine solche ist so zu handhaben, dass sie mit dem Verfassungsrecht in Einklang steht. Spielräume, welche sie eröffnet, können dadurch eingeschränkt werden (E. 2.3.3).