Unabhängige bernische Justiz?

Im Kanton Bern wird über eine Änderung der Kantonsverfassung abgestimmt, welche das Parlament einstimmig beschlossen hat. Es soll darum gehen, auf Verfassungsstufe “abzubilden” (Abstimmungsbüchlein) bzw. “zu verankern” (Medienmitteilung), was mit der Justizreform vor über 10 Jahren umgesetzt wurde. Kernstück soll die Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Justiz sein. Diese verfügt über ihr eigenes Budget und nimmt wichtige Aufgaben in den Bereichen Personal, Finanzen und Informatik selbständig wahr. Gepriesen wird als Grundprinzip der Demokratie die Gewaltenteilung, welche in den Abstimmungsunterlagen erklärt wird. Die Judikative wird wie folgt umschrieben:

Die Gerichtsbehörden und die Staatsanwaltschaft bilden die bernische Justiz (Judikative). Die Gerichtsbehörden sind für die Rechtsprechung, die Staatsanwaltschaft für die Strafverfolgung zuständig. Die Unabhängigkeit ist in diesen Bereichen uneingeschränkt zu gewährleisten.

Das bisherige gemeinsam Leitungsorgan des Obergerichts, des Verwaltungsgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft, welche bereits heute auch die Staatsanwaltschaft repräsentiert, soll in “Justizverwaltungsleitung” unbenannt werden. Damit soll der Anschein vermieden werden, die Leitung beziehe sich auch auf die Rechtsprechung. Die “neue” Justizverwaltungsleitung vertritt die Anliegen der Justiz gegenüber der Exekutive und der Legislative, wo sie über Antrags- und Vertretungsrechte verfügt. Sie erstellt Budget, Aufgaben- und Finanzplan sowie Geschäfts- und Tätigkeitsbericht.

Im Grossen Rat vertrat eine Minderheit offenbar die Meinung, die Zusammensetzung der Justizverwaltungsleitung solle nicht in der Verfassung verankert werden, weil es in Justizkreisen teilweise umstritten sei, die Staatsanwaltschaft in die Justizverwaltungsleitung einzubeziehen. Der Einbezug selbst war also nicht umstritten, aber die Offenlegung in der Verfassung (in der geltenden Verfassung wird die Staatsanwaltschaft übrigens gar nicht erwähnt).

Ich bezweifle, dass die Stellung der Staatsanwaltschaft, die im Kanton Bern m.W. immer als Teil der Justiz aufgefasst und behandelt wurde, mit dem bundesrechtlich vorgeschriebenen Strafverfolgungsmodell vereinbar ist. Das Problem liegt aber nicht bei der Staatsanwaltschaft, sondern bei den Gerichten. Wenn Gerichte und Strafverfolgung unter gemeinsamer Leitung stehen, können die Gerichte gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht unabhängig sein. Daran ändert nichts, dass die Justizverwaltungsleitung angeblich nur Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Wenn es um die Rechtsprechung geht, wählt man einfach ein anderes Organ. Die Strafzumessungsempfehlungen werden daher nicht von der Leitung, sondern vom VBRS (Verband Bernischer Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte) erarbeitet und publizieret.