Unangemessene Notwehrhandlung?

Die Rechtsprechung des Bundesgerichts ist in Bezug auf die geforderte Angemessenheit einer Notwehrhandlung ausserordentlich streng. In einem aktuellen Fall hat es ein freisprechendes Urteil des Obergerichts ZH kassiert und die Angemessenheit einer Abwehrhandlung verneint (BGer 6B_1454/2020 vom 07.04.2022). Das Bundesgericht hat sich dabei m.E. wie ein Sachgericht verhalten, das es ja eigentlich nicht sein will:

Der Beschwerdegegner hätte das Messer ohne Weiteres gegen weniger verletzliche Körperteile von A. einsetzen können, namentlich gegen dessen Beine. Da ihn dieser mit den Armen an den Schultern festgehalten und er den Stich von unten nach oben ausgeführt hat, wäre ihm dies möglich gewesen. In der Gesamtbetrachtung ist die Angemessenheit der Abwehrhandlung i.S.v. Art. 15 StGB zu verneinen. Das Notwehrrecht wurde erheblich überschritten. Art. 16 StGB ist anwendbar (E. 3.4).

Möglich ist eine solche Sachverhaltsfeststellung nur, wenn man vorab folgende Erwägung in den Entscheid aufnimmt (und wenn als Beschwerdeführerin eine Strafverfolgungsbehörde auftritt):

Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist weder an die in der Beschwerde vorgetragene Begründung der Rechtsbegehren noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde mithin auch aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 143 V 19 E. 2.3; 141 III 426 E. 2.4; 133 IV 150 E. 1.2; Urteil 6B_442/2021 vom 30. September 2021 E. 3.3; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht darf indes nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG) [E. 1.4].