Was dürfen Sachverständige wissen?

Im Rahmen der Anordnung von Gutachten stellt sich immer wieder die Frage, welche Aktenbestandteile den Sachverständigen zu übergeben seien. In einem aktuellen Fall (angebliche fahrlässige Tötung im Rahmen einer medizinischen Betreuung in einem Spital) versuchte die Verteidigung zu verhindern, dass ein “Roundtable-Protokoll” , das von einem Mitbeschuldigten verfasst worden war, dem Sachverständigen übergeben wird. Die Verteidigung machte gemäss Bundesgericht (BGer 1B_203/2023 vom 08.06.2023) geltend

entgegen der Auffassung der Vorinstanz seien dem neuen Sachverständigen nur diejenigen Akten zu übermitteln, die “einen rechtsgenüglichen Nachweis der Grundlagen erlauben, auf welche sich die gutachterlichen Feststellungen abzustützen haben”. Da die Staatsanwaltschaft den massgebenden Sachverhalt nicht abgeklärt habe, würde die Herausgabe des “Roundtable-Protokolls ” dazu führen, dass dieses zur massgebenden Grundlage des neuen Gutachtens würde. Das “Roundtable-Protokoll ” sei jedoch von einem Mitbeschuldigten verfasst worden und habe keinerlei Beweiswert, da – wie der Beschwerdeführer bereits vor der Vorinstanz geltend machte – die darin kolportierten Aussagen nicht “justizförmig verwertbar” gemacht worden seien. Stütze sich das Gutachten nun (einzig) auf dieses von einem Mitbeschuldigten verfassten “Roundtable-Protokoll “, würden dadurch Prozess- und Parteirechte ausgehebelt, was das Fair-trial-Prinzip nach Art. 6 EMRK verbiete. Werde der Gutachtensauftrag in offenkundig rechtswidriger Weise gegeben und führe dies (wegen Unverwertbarkeit des Gutachtens) zu einem strafprozessualen Leerlauf, werde dadurch auch das Beschleunigungsgebot nach Art. 5 Abs. 1 StPO verletzt. 

Das Bundesgericht ist nicht überzeugt und folgt der Vorinstanz:

Die Staatsanwaltschaft kann zwar wie gesehen auch aus anderen Gründen als der Unverwertbarkeit eines Beweisstücks von dessen Übermittlung an die sachverständige Person absehen. Vorliegend legt der Beschwerdeführer aber nicht dar und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen über- bzw. unterschritten oder missbraucht hätte, indem sie entschied, dem neuen Sachverständigen das “Roundtable-Protokoll” zur Verfügung zu stellen. Inwieweit der neue Sachverständige bei seiner Begutachtung auf dieses Aktenstück abstellen wird, hängt im Übrigen auch von seiner Instruktion durch die Staatsanwaltschaft ab, worauf aber der Beschwerdeführer nicht weiter eingeht und dadurch seine Begründungsobliegenheit verfehlt (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, wird die Würdigung des Gutachtens – einschliesslich der Auswahl der übermittelten Akten und der Instruktion des Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft – Aufgabe des Sachgerichts sein (E. 3.4, Hervorhebungen durch mich). 

Dann sind wir mal gespannt, welche Instruktionen die künftige Partei Staatsanwaltschaft den ach so unabhängigen Gutachtern erteilt. Und noch was: was genau hätte der Beschwerdeführer hier begründen müssen, um seinen Begründungsobliegenheiten nachzukommen?