Zur Umwandlung von privater in amtliche Verteidigung

Wer privat verteidigt ist und in Bezug auf seine finanziellen Verhältnisse von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, kann die Verteidigung selbst dann nicht mehr in eine amtliche umwandeln lassen, wenn es sich um einen Fall von notwendiger Verteidigung i.S.v. Art. 130 StPO handelt. Dies hat die I. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts in Dreierbesetzung entschieden (BGer 1B_364/2019 vom 28.08.2019), was entgegen den Erwägungen klar auf eine Praxisänderung (vgl. BGE 139 IV 113 E. 4 und 5) und auf überspitzten Formalismus hinausläuft (vgl. den im Urteil zitierten Hinweis auf Ruckstuhl, von dem ohne Begründung abgewichen wird).

Zu seinem für mich unverständlichen Ergebnis kommt das Bundesgericht, indem es einen Bezug zwischen der notwendigen Verteidigung und Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO herstellt, was nach einem Blick in das Gesetz unzulässig ist.

Weiter ist bei der Anordnung der amtlichen Verteidigung das Vorschlagsrecht der beschuldigten Person gemäss Art. 133 Abs. 2 StPO zu beachten. Wenn letztere aber über eine Wahlverteidigung verfügt und deren Umwandlung in eine amtliche Verteidigung beantragt, so ist diese Konstellation nicht unter Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO einzuordnen. Vielmehr richtet sich die Behandlung eines solchen Gesuchs (auch bei Fällen notwendiger Verteidigung) nach Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO und hängt somit von der finanziellen Bedürftigkeit der beschuldigten Person ab. Diese ist für den zuletzt genannten Punkt nachweispflichtig (E. 3.5, Hervorhebungen durch mich).

Fast noch tragischer sind aber weitere Feststellungen des Bundesgerichts, das sich der Tragweite der notwendigen Verteidigung und den Folgen der Verletzungen der Vorschriften (vgl. dazu Art. 131 StPO) nicht bewusst zu sein scheint:

Es trifft zu, dass nach der Regelung von Art. 132 Abs. 1 lit. a und lit. b StPO die Anordnung einer amtlichen Verteidigung bei Schweigen der beschuldigten Person zu ihren finanziellen Verhältnissen voraussetzen kann, dass das Mandatsverhältnis zur Wahlverteidigung aufgelöst ist. Im Zeitraum zwischen dem entsprechenden Gesuch und der Einsetzung der amtlichen Verteidigung kommt es diesfalls zu einem kurzen Unterbruch der Verteidigung im Strafverfahren. Dabei handelt es sich aber nicht um eine behördlich angeordnete Beschränkung des Zugangs zu einer Verteidigung, sondern der Unterbruch beruht letztlich auf der Prozesstaktik der beschuldigten Person, von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen.  
Die Verfahrensleitung hat dafür zu sorgen, dass dabei weder das Beschleunigungsgebot noch die Fairness im Strafverfahren beeinträchtigt werden
. Nach den oben in E. 3.3 wiedergegebenen Grundsätzen von BGE 139 IV 113 E. 5.2 S. 120 f. dürfte die Verfahrensleitung die Einsetzung der (ehemaligen) Wahlverteidigung als amtliche Verteidigung nicht mit der Begründung ablehnen, jene habe die beschuldigte Person nicht aktiv zu einer Offenlegung der finanziellen Verhältnisse angehalten. Ausserdem hätte die Verfahrensleitung bei einer solchen Konstellation über das gestellte Gesuch um amtliche Verteidigung unverzüglich zu entscheiden und dürfte die beschuldigte Person nicht zunächst auffordern, eine andere Wahlverteidigung zu bestellen. Aus zureichenden sachlichen Gründen (vgl. dazu BGE 139 IV 113 E. 4.3 S. 119) hätte die Verfahrensleitung jedoch bei der Einsetzung der amtlichen Verteidigung vom Vorschlag der beschuldigten Person abzuweichen. Dies ändert allerdings grundsätzlich nichts daran, dass letztere im Ergebnis weder auf ihr Schweigerecht noch auf ihr Vorschlagsrecht für eine amtliche Verteidigung ihres Vertrauens verzichten müsste. 
Insgesamt ist es mit dem grundrechtlichen Ansprüchen auf angemessene Verfahrensdauer, Fairness des Verfahrens und wirksame Verteidigung vereinbar, wenn die Anordnung einer amtlichen Verteidigung bei Schweigen der beschuldigten Person zu ihren finanziellen Verhältnissen voraussetzt, dass das Mandatsverhältnis zur Wahlverteidigung aufgelöst ist (E. 3.7.3). 

Und wozu nun das ganze Theater? Die Verteidigung muss eben doch entgegen BGE 139 IV 113 niederlegen. Dann kann die beschuldigte Person die amtliche Verteidigung in der Person des ehemaligen Verteidigers beantragen, ohne ihre finanziellen Verhältnisse offenzulegen (nur am Rande sei erwähnt, dass die Strafbehörden die finanziellen Verhältnisse der Betroffenen ohnehin abklären müssen und das auch tun).

Abschliessend jagt das Bundesgericht den Strafverteidigern noch ein paar kalte Schauer über den Rücken:

Wenn die beschuldigte Person eine Wahlverteidigung beauftragt hat und beim Antrag auf Umwandlung in eine amtliche Verteidigung ihre finanziellen Verhältnisse nicht offenlegt, so lässt sich diese Situation nicht mit einem Fall von Bedürftigkeit nach Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO gleichsetzen. Ein solches Vorgehen geht auch über das Vorschlagsrecht von Art. 133 Abs. 2 StPO hinaus. Vielmehr darf die Verfahrensleitung bei der fraglichen Konstellation grundsätzlich ohne weitere Abklärungen davon ausgehen, dass – zumindest einstweilen – eine wirksame private Rechtsvertretung gegeben ist. Diesen Grundsatz kann die beschuldigte Person nicht mit der blossen Behauptung, sie sei mittellos, umstossen. Die Verfahrensleitung ist bei der Anordnung einer amtlichen Verteidigung wegen Bedürftigkeit im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO für ihre Abklärungen auf die Mitwirkung der beschuldigten Person angewiesen. Wenn letztere im Hinblick auf ihre finanziellen Verhältnisse vom Aussageverweigerungsrecht gemäss Art. 113 StPO Gebrauch macht, so kann es bei bestehender Wahlverteidigung dazu kommen, dass die Behauptung der finanziellen Bedürftigkeit nicht als glaubwürdig angesehen wird. Ein Anspruch auf Anordnung der amtlichen Verteidigung ohne Nachweis der finanziellen Bedürftigkeit besteht bei notwendiger Verteidigung nur in einer Konstellation von Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO, d.h. bei Fehlen einer Wahlverteidigung. Nichts anderes ergibt sich aus BGE 139 IV 113.  In diesem Zusammenhang ist bemerkungsweise beizufügen, dass sich die Berufsregeln der Wahlverteidigung nach dem Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935.61) richten, denn die Verteidigung von Beschuldigten ist gemäss Art. 127 Abs. 5 StPO den Rechtsanwälten vorbehalten (vgl. BGE 141 IV 257 E. 2.1 S. 260). Nach Art. 12 lit. a BGFA haben die Anwältinnen und Anwälte “ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft” auszuüben. Diese Verpflichtung hat für die gesamte Berufstätigkeit Geltung und erfasst neben der Beziehung zum eigenen Klienten sowohl die Kontakte mit der Gegenpartei als auch jene mit den Behörden (BGE 130 II 270 E. 3.2 S. 276). Ausserdem haben Anwältinnen und Anwälte ihre Klientschaft gemäss Art. 12 lit. i BGFA bei Übernahme des Mandats über die Grundsätze ihrer Rechnungsstellung aufzuklären und sie periodisch oder auf Verlangen über die Höhe des geschuldeten Honorars zu informieren. Es ist daher davon auszugehen, dass die Wahlverteidigung bei der Annahme des Mandats die beschuldigte Person auf die Kostenfolgen aufmerksam macht. Eine Wahlverteidigung, die Kenntnis davon hat, dass der Mandant die finanziellen Verhältnisse gegenüber der Verfahrensleitung nicht offenlegen will, kann sich den Berufspflichten nicht auf dem Umweg über ein Gesuch um Einsetzung als amtliche Verteidigung entziehen. Die Wahlverteidigung hat somit in einem solchen Fall die Interessen der beschuldigten Person im Strafverfahren sorgfältig und gewissenhaft zu wahren und ihr dafür Rechnung zu stellen, solange das Mandatsverhältnis andauert. Bei ungenügender Wahlverteidigung hätte die Verfahrensleitung einzuschreiten und gegebenenfalls nach Abmahnung eine andere Person als amtliche Verteidigung einzusetzen (vgl. BGE 124 I 185 E. 3b S. 190). [E. 3.6].

Für mich ist das Urteil ein Kandidat für den Fehlentscheid des Jahres 2019.