Befriedigendes Fehlurteil: update

Der in meinem letzten Beitrag angesprochene Entscheid des Bundesgerichts ist nun online (BGE 6B_529/2014 vom 10.12.2014, Publikation in der AS vorgesehen).

Er geht mit der Vorinstanz eher pfleglich um und wirft dem Beschwerdeführer vor, auf einen Konfrontationsanspruch verzichtet zu haben:

[Der Beschwerdeführer] hätte spätestens im vorinstanzlichen Verfahren eine Zeugenbefragung beantragen müssen, was er nicht tat. Stattdessen beschränkte er sich darauf, in seinem Parteivortrag die Unverwertbarkeit der Aussagen zu plädieren. Im Übrigen legt er selber dar, dass er – nachdem er im Juli 2010 Aktenkenntnis erhielt – darauf verzichtet habe, eine Konfrontation zu beantragen, da er sich keine weiteren brauchbaren Entlastungen mehr habe erhoffen können (…). Seine Befürchtung, die Auskunftspersonen könnten zwischenzeitlich durch die Medienberichterstattung beeinflusst worden sein (…), lässt sich allerdings nicht nachvollziehen, zumal die von ihm geschilderte Vorverurteilung in den Medien den Vorfall vom 12. November 2010 betraf (…). Dass die Aussagen der Auskunftspersonen nicht nur entlastend, sondern in erster Linie auch belastend sein konnten, lag entgegen seinen Ausführungen auf der Hand. Dem Beschwerdeführer war zudem spätestens nach dem erstinstanzlichen Entscheid klar, dass die Aussagen der Auskunftspersonen gegen ihn verwendet werden konnten, weshalb er im vorinstanzlichen Verfahren eine Konfrontation hätte beantragen können. Die Rüge ist unbegründet [E. 5.3].

Die Verteidigung muss somit immer die Befragung von Belastungszeugen beantragen, spätestens im Berufungsverfahren. Das kann zwar an sich nicht ihre Aufgabe sein, aber zu verlieren hat sie ja mit dieser Rechtsprechung ohnehin nichts. Verzichtet sich darauf, Belastungszeugen laden zu lassen, sind deren Aussagen ohnehin verwertbar. Nicht ganz klar ist mir übrigens, wie dieser Entscheid mit BGer 6B_98/2014 vereinbar ist (s. dazu meinen früheren Beitrag).

Bemerkenswert ist allenfalls noch, dass das Bundesgericht eine direkte Beweisabnahme vorschreibt, wenn Aussage gegen Aussage steht und es sich bei der belastenden Aussage um ein Hauptbeweismittel handelt:

Beim Beschwerdegegner 3 handelt es sich um den Hauptbelastungszeugen. Zwar lassen sich seine Aussagen weitgehend anhand der Angaben der Auskunftspersonen verifizieren. Jedenfalls hinsichtlich der ebenfalls zentralen und streitigen Frage nach der Schussrichtung stellt die Vorinstanz jedoch ausschliesslich auf die Aussagen des Beschwerdegegners 3 ab (…). Zumindest diesbezüglich liegt eine eigentliche “Aussage gegen Aussage”-Situation vor. Dieser Umstand sowie die Bedeutung der Aussagen des Beschwerdegegners 3 als Hauptbelastungszeugen für den Ausgang des Verfahrens und die Schwere der Tatvorwürfe lassen eine unmittelbare Beweisabnahme durch das Gericht für die Urteilsfällung im Sinne von Art. 343 Abs. 3 StPO als notwendig erscheinen. Die Voraussetzungen von Art. 343 Abs. 3 StPO sind daher erfüllt [E. 4.4.3].

In diesem Punkt wurde die Beschwerde gutgeheissen. Ebenfalls durchgedrungen ist der Beschwerdeführer mit der “DNA-Rüge”:

Der Vorinstanz kann nicht zum Vorwurf gemacht werden, sie habe das Gutachten willkürlich gewürdigt, da sie – für den Fall, dass eine Kontaminierung durch die Polizei ausgeschlossen werden kann – von der gemäss dem FOR wahrscheinlichsten Variante ausgeht, auch wenn diese für sich gesehen eher unwahrscheinlich ist. Allerdings bleibt es dabei, dass die Frage, wann die DNA des Beschwerdeführers auf die Patronenhülse kam, mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet ist, was sich auch aus dem Gutachten ergibt. Die von der Vorinstanz gewählte Variante ist lediglich eine von mehreren mehr oder weniger unwahrscheinlichen Möglichkeiten. Ein genügender Beweis, dass die DNA vor der Schussabgabe auf die Patrone gelangte, womit der Beschwerdeführer zwingend der Schütze gewesen wäre, fehlt damit. Die DNA-Spur stellt nebst den Aussagen des Beschwerdegegners 3 und der Auskunftspersonen daher kein verwertbares Indiz für die Täterschaft des Beschwerdeführers dar [E. 6.2.3].

Hat das Bundesgericht nun bei der Beweiswürdigung volle Kognition? Wenn sie nicht willkürlich ist, müsste die Rüge doch verworfen werden. Hier geht es doch nicht um die Frage der Verwertbarkeit, sondern um diejenige der Würdigung von Beweismitteln.