Aus 61 mach 59: ein zweiter Entscheid zur Störung sui generis

Stationäre therapeutische Massnahmen für junge Erwachsene nach Art. 61 StGB haben im Gegensatz zu den Massnahmen nach Art. 59 StGB absolute Höchstgrenzen. Die Reaktion des Vollzugs und der Justiz auf solche gesetzgeberischen Fehlleistungen ist einfach: man wandelt 61 einfach um in 59 (BGer 6B_828/2019 vom 05.11.2019). Das geht freilich nur, wenn ein schwere psychische Störung bejaht werden kann. Und das ist ja seit dieser Woche auch kein Problem mehr, weil der Störungsbegriff ein funktionaler ist. Grundsätze wie Rechtskraft und “ne bis in idem” interessieren ja offenbar auch nicht mehr, sodass auch prozessuale Hindernisse keine Rolle spielen.

Im vorliegenden Fall leidet der Beschwerdeführer an einer “Vergewaltigungsdisposition”.

Nicht zu beanstanden ist insbesondere, wenn die Vorinstanz auf die gutachterliche Diagnose der Vergewaltigungsdisposition abstellt und diese in Kombination mit den beim Beschwerdeführer festgestellten akzentuierten dissozialen Persönlichkeitszügen als schwere psychische Störung im Sinne von Art. 59 Abs. 1 StGB qualifiziert. Der Gutachter legt dar, dass die Vergewaltigungsdisposition in der forensischen Psychiatrie anerkannt ist, auch wenn dafür teils andere Begriffe wie Vergewaltigungsfantasien oder Vergewaltigungsneigung verwendet würden, und unter die (sozial unverträglichen) sonstigen Störungen der Sexualpräferenz gemäss ICD-10: F65.8 fällt. Im Übrigen hat die Rechtsprechung kürzlich bestätigt, dass die Diagnose nicht unter allen Umständen in einem Identifikationssystem wie ICD oder DSM aufgeführt sein muss (vgl. oben E. 1.2.3). Dass die verfügbaren Diagnosemanuale für psychische Störungen (ICD und DSM) den Begriff der Vergewaltigungsdisposition nicht kennen, spricht daher nicht gegen die Annahme einer schweren psychischen Störung im Sinne von Art. 59 Abs. 1 StGB.  Der Gutachter stellt für die Diagnose der Vergewaltigungsdisposition u.a. auf das Tatgeschehen, insbesondere die Deliktsdynamik, sowie die beim Beschwerdeführer vorgefundene verbotene Pornografie mit Gewaltdarstellung ab, für welche der Beschwerdeführer rechtskräftig verurteilt wurde. Der Gutachter legt entgegen der Kritik des Beschwerdeführers ausführlich dar, weshalb er bei diesem von einer Vergewaltigungsdisposition, d.h. dem Wunsch nach sexuellen Handlungen gegen den Willen der betroffenen Person, ausgeht. Aus den gutachterlichen Ausführungen geht ohne Weiteres hervor, dass beim Beschwerdeführer eine Vergewaltigungsdisposition nicht deshalb diagnostiziert wurde, weil er eine Vergewaltigung beging, sondern weil dieser nach Auffassung des Gutachters gewaltsam herbeigeführte Sexualkontakte als besonders attraktiv erlebt (E. 1.4). 

Das heisst, dass an einer schweren psychischen Störung leidet, wer seine strafbaren Fantasien auslebt. Wer Straftaten begeht, wird bestraft. Wer sie als attraktiv empfindet, wird versorgt.