Im zweisprachigen Bern hat man deutsch zu verstehen

Das Bundesgericht kassiert ein Urteil des Obergerichts BE, das seinem Urteil im Zusammenhang mit der gültigen Eröffnung eines Strafbefehls Spekulationen über die Sprachkenntnisse eines Beschuldigten zugrunde gelegt hatte (BGer 6B_1140/2020 vom 02.06.2021, Fünferbesetzung):

 Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer französischer Muttersprache und in Genf aufgewachsen und wohnhaft ist. Weder die Staatsanwaltschaft noch die beiden Vorinstanzen hatten je persönlich Kontakt mit ihm und konnten sich somit kein Bild von seinen Deutschkenntnissen verschaffen. Die Vorinstanz stützt sodann ihre Annahme, wonach der Beschwerdeführer über genügend Deutschkenntnisse verfüge, und eine Übersetzung der wesentlichen Verfahrenshandlungen nach Art. 68 Abs. 2 StPO daher entbehrlich gewesen sei, einzig auf die obligatorische Schulbildung des Beschwerdeführers vor rund 25 Jahren und die Behauptung, dass diese Schulbildung Deutsch als Pflichtfach beinhaltet haben soll. Der vorinstanzliche Nachweis genügender Deutschkenntnisse basiert mithin auf blosser Spekulation. Demgegenüber ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer stets in französischer Sprache mit den Behörden kommunizierte und wiederholt auf seine fehlenden Deutschkenntnisse hinwies. Davon ist mangels gegenteiliger Hinweise auszugehen, zumal als notorisch gelten kann, dass Fremdsprachenkenntnisse, sollten sie denn im Rahmen des obligatorischen Schulunterrichts tatsächlich erworben worden sein, bei Nichtgebrauch wieder verloren gehen. Auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer über eine höhere Schulbildung verfügt und als Software-Ingenieur tätig ist, kann nichts anderes abgeleitet werden. Er wurde denn auch, offensichtlich aufgrund seines Hinweises auf die mangelnden Deutschkenntnisse, rechtshilfeweise im Kanton Genf und somit in französischer Sprache einvernommen. Zudem hat er sich in der Folge anwaltlich vertreten lassen, nachdem seine Gesuche um Übersetzung des Verfügungsinhalts abschlägig beantwortet worden waren. Es widerspricht daher dem Gerechtigkeitsgedanken, dem Beschwerdeführer, gestützt auf die von der Vorinstanz angeführten Umstände, spekulativer Natur genügende Deutschkenntnisse unterstellen zu wollen. Ihm kann auch kein grobes prozessuales Verschulden vorgeworfen werden. Zum einen handelt es sich bei der Übersetzung der wesentlichen Verfahrenshandlungen nach Art. 68 Abs. 2 StPO um eine Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, sodass nicht in erster Linie die beschuldigte Person darum nachsuchen muss, was der Beschwerdeführer im Übrigen getan hat (E. 1.2, Hervorhebungen durch mich).

So richtig peinlich für die bernische Strafbefehlspraxis, von der es auch sonst noch einiges zu berichten gäbe, wird die Erwägung des Bundesgerichts erst am Schluss:

Zum anderen geht aus dem Dispositiv des Strafbefehls nicht hervor, dass eine Einsprachefrist besteht und wie lange diese laufen würde. Die Rechtsmittelbelehrung findet sich erst auf der dritten Seite des Strafbefehls im Kleingedruckten, wobei die Einsprachefrist nicht als Zahl, sondern in Worten geschrieben steht (E. 1.2, Hervorhebungen durch mich).  

Fünferbesetzung?