IS-olationshaft

Ein inzwischen verurteilter Angehöriger des IS befindet sich seit über fünf Jahren in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft, zuletzt isoliert. Über sein bisher letztes Gesuch um Änderung der Haftmodalitäten wurde – so ist es dem Urteil des Bundesgerichts BGer 1B_235/2022 vom 12.07.2022 zu entnehmen – wie folgt entschieden:

Die Anträge des Beschuldigten auf regelmässigen, jeweils alle 14 Tage stattfindenden telefonischen Kontakt mit seiner Mutter und auf Besuch durch seinen Stiefsohn wurden abgewiesen. Die Anträge des Stiefsohns auf eine Dauerbesuchsbewilligung, eventualiter auf eine mehrfache, subeventualiter auf eine einmalige Besuchsbewilligung wurden abgewiesen. Die Berechtigung des Beschuldigten zum Empfang von Besuchen und zur Führung von Telefongesprächen mit Personen ausserhalb der Haftanstalt wurde für die restliche Dauer der Sicherheitshaft aufgehoben. Sein Antrag auf Vollzugslockerungen in Form von Hofgängen mit anderen Inhaftierten wurde abgewiesen. Die Berufungskammer ordnete weiter an, dass der Beschuldigte für die restliche Dauer der Sicherheitshaft weiterhin von den anderen Gefängnisinsassen getrennt zu halten sei. Die Kontrolle seines Briefverkehrs habe weiterhin durch die BA zu erfolgen. Diese habe Kopien der ein- und ausgehenden Post (inklusive allfällige Übersetzungen), ausgenommen die Anwaltspost, orientierungshalber an die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts zuzustellen.

Der Beschuldigte wird im Entscheid des Bundesgerichts wie folgt beschrieben:

Beim Beschwerdeführer handelt es sich nach Ansicht des Bundesstrafgerichtes um einen “extremistisch-salafistischen, bestens vernetzten IS-Angehörigen”, dessen Familienmitglieder im Nahen bzw. Mittleren Osten diese Ideologie ausnahmslos teilten bzw. akzeptierten. Seine diversen strafbaren Handlungen und kolludierenden Anweisungen seien über Telefon und Internet-Kommunikation erfolgt. Er habe auch telefonische Kontakte mit mutmasslichen IS-Angehörigen in der Kampfzone gepflegt (mit “Anweisungen zum Verhalten während Angriffen/Bombardierungen etc.”). Gemäss dem forensisch-psychiatrischen Gutachten vom 30. September 2019 sei bei ihm eine “dissoziale Persönlichkeitsstörung” diagnostiziert worden. Laut psychiatrischem Gutachter bestehe eine hohe Rückfallgefahr für einschlägige weitere Delikte. Diesen Befund habe der Experte anlässlich der Berufungsverhandlung bestätigt; zudem habe er betont, dass sich die “Persönlichkeitsproblematik” – sofern sich die Vorfälle so zugetragen hätten, wie vom genannten Zeugen und von der Gefängnisleitung geschildert – unterdessen sogar noch akzentuiert darstelle, “mit einer handlungsstarken Bereitschaft zu gewalttätigem Verhalten”. Grundsätzlich sehe der Gutachter im Hinblick auf jeden Kontakt des Beschwerdeführers die Gefahr des Missbrauchs, wobei zu befürchten sei, dass diese sich “innert Sekundenbruchteilen” manifestiere. 

Der Beschwerdeführer wurde zu einer Freiheitsstrafe von 65 Monaten verurteilt, die er in Kürze verbüsst haben wird, falls das Bundesgericht die Strafe nicht beanstandet. Man rechnet aber mit einer weiteren Verurteilung und einem längeren Wegweisungsverfahren (Vollstreckung der Landesverweisung). Das Bundesgericht stützt das Haftregime:

Die Vorinstanz hat kein Bundesrecht verletzt, indem sie die oben geschilderten Vorkommnisse als massive, während der strafprozessualen Haft verübte Kollusionshandlungen bzw. als mutmassliche neue einschlägige Verbrechen mit extremistischem Hintergrund einstufte. Der Beschwerdeführer scheint dabei zu verkennen, dass es sich bei Verdunkelungshandlungen, die eine Anpassung der strafprozessualen Haftmodalitäten zum Schutz der Verfahrens- und Haftwecke grundsätzlich rechtfertigen können, nicht zwangsläufig um Straftaten handeln muss. Die Ansicht des Bundesstrafgerichtes, es müsse im jetzigen Verfahrensstadium – zur Verhinderung von Verdunkelung und von möglichen neuen schweren Straftaten – noch an den von der Verfahrensleitung verfügten strengen Haftmodalitäten festgehalten werden, mildere Massnahmen seien derzeit noch nicht ersichtlich, hält vor dem Bundesrecht stand.  Zwar sind die derzeitigen strafprozessualen Haftbedingungen als sehr restriktiv zu bezeichnen. Im vorliegenden konkreten Fall halten sie jedoch, bei gesamthafter Betrachtung, auch vor den tangierten Grundrechten stand. Bei der Verhältnismässigkeitsprüfung fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer aus der strafprozessualen Haft hinaus mehrmals massiv kolludiert hat und dass er wegen Beteiligung an einer terroristischen Organisation und anderen Delikten – auch schon in zweiter Instanz – zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Während der strafprozessualen Haft hat er weitere mutmassliche Verbrechen verübt, die noch in einem separaten Verfahren abzuklären sind. Da ihm zuvor im Untersuchungs- und Hauptverfahren jahrelang mildere Haftbedingungen (mit Besuchs- und Telefonverkehr) gewährt wurden, hat er die streitige Verschärfung der Haftmodalitäten im Berufungsverfahren mit seinem hartnäckigen Fehlverhalten selber verursacht. Ins Gewicht fällt bei der Interessenabwägung auch, dass aufgrund der vorliegenden Akten – darunter ein aktueller Vollzugsbericht der Gefängnisleitung und Äusserungen des psychiatrischen Gutachters im Berufungsverfahren – keine objektiven Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Beschwerdeführer unter den aktuellen Haftmodalitäten unnötig stark zu leiden hätte. 

Weiter ist hier mitzuberücksichtigen, dass mit einem Entscheid des Bundesgerichtes über die von der BA am 17. Januar 2022 eingereichte Beschwerde in Strafsachen (zum Sanktionspunkt) zeitnah gerechnet werden darf, weshalb die Modalitäten der Sicherheitshaft ohnehin bald vom ordentlichen Sanktionsvollzug (und eventuell von der Ausschaffungshaft) abzulösen sein werden. Wie er einräumt, hat der Beschwerdeführer kein Rechtsmittel gegen das Berufungsurteil erhoben. Sein Einwand, das strafprozessuale Haftregime bis zur Rechtskraft des Strafurteils hindere ihn daran, seine Zukunft im Irak zu organisieren und sich von seinem in der Schweiz lebenden “Ziehsohn” zu verabschieden oder seine Mutter zu informieren, überzeugt nicht. Er räumt selber ein, dass er voraussichtlich noch einige Monate in Vollzugs- bzw. Ausschaffungshaft zu verbringen haben werde; dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gegen ihn noch eine weitere Strafuntersuchung läuft. Im jetzigen Verfahrenszeitpunkt steht nicht fest, dass die Haftmodalitäten im Sanktionsvollzug ebenso restriktiv ausfallen müssten wie derzeit noch, für relativ kurze Zeit, in der strafprozessualen Sicherheitshaft; dies gilt umso mehr, als ein Verdunkelungsrisiko dannzumal entfallen wird. Die künftigen Vollzugsmodalitäten werden im Übrigen auch vom weiteren objektiven Verhalten des Beschwerdeführers abhängen (E. 3.4). 

Er darf also isoliert werden, weil er demnächst – aufgrund des Vollzugs der Sanktion – vielleicht nicht mehr isoliert werden darf, die Isolation also gar keinen Sinn mehr hat?