Verpasste Fristen schaden nicht immer

Das Bundesgericht publiziert heute gleich zwei Entscheide in Fünferbesetzung, in denen es den Vorinstanzen vorwirft, nicht auf an sich verspätete Eingaben eingetreten zu sein (BGer 6B_277/2019 vom 05.07.2019 und BGE 6B_315/2019 vom 05.07.2019, letzterer zur Publikation in der AS vorgesehen).

Wie das möglich ist? Eigentlich ganz einfach; das Bundesgericht wendet konsequent das nationale und das internationale Recht (EUeR, SDÜ) an und schliesst sich der Meinung von Bundesrichter Oberholzer an:

Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache mächtig ist, liegen nicht vor. Die Vorinstanz hätte diesem daher zumindest die wesentlichen Passagen des Entscheids vom 8. November 2018, d.h. das Dispositiv sowie die Rechtsmittelbelehrung, ev. auch die Erwägung betreffend die Entschädigungsfolgen, übersetzen müssen. Indem sie dies nicht tat, verstiess sie gegen Art. 68 Abs. 2 StPO sowie die zuvor zitierten staatsvertraglichen Vereinbarungen. Es erscheint daher überspitzt formalistisch und kommt einem Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gleich, wenn die Vorinstanz auf die um wenige Tage verspätete Beschwerde nicht eintrat, obschon die Staatsanwaltschaft ihrer Pflicht zur Übersetzung nicht nachkam und die Beschwerdefrist daher um die Zeit verkürzt wurde, welche der Beschwerdeführer für den Erhalt einer Übersetzung benötigte. Die Vorinstanz trat auf die Beschwerde des Beschwerdeführers zu Unrecht nicht ein (E. 2.3 aus BGer 6B_277/2019).  

Und hier noch ein Zitat aus dem zu publizierenden Entscheid:

Die Rechtsmittelbelehrung soll die Parteien in die Lage versetzen, die ihnen von Gesetzes wegen zustehenden Rechtsmittel auch effektiv wahrzunehmen. Dies ist ohne Kenntnis des in Art. 91 Abs. 2 StPO geregelten Fristenlaufs u.U. nicht möglich. Angesichts der teils kurzen Fristen von 10 Tagen (vgl. Art. 396 Abs. 1 StPO für die Beschwerde; siehe auch Art. 354 Abs. 1 StPO für die Einsprache) und der Dauer der postalischen Zustellung in gewissen Staaten ist es zudem wichtig, dass die rechtsuchende Person auch über die Möglichkeit informiert ist, ihr Rechtsmittel im Ausland einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung zu übergeben. Die Rechtsmittelbelehrung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. d StPO muss, wenn der Zustellungsempfänger im Ausland wohnhaft ist, grundsätzlich daher auch einen Hinweis auf Art. 91 Abs. 2 StPO enthalten (E. 1.4.3).