Ungenügendes (Prognose-) Gutachten (DyRiAS)

Das Bundesgericht kassiert ein Urteil des Appellationsgerichts BS und kritisiert dabei insbesondere das forensisch-psychiatrische Gutachten sowie der Umgang des Gerichts damit (BGer 6B_828/2018 vom 05.07.2019).

Beachtlich ist insbesondere die Erwägung 6.4,, in welcher das Bundesgericht ausführt, dass in die Prognose nur Verhaltensweisen einfliessen dürfen, die zweifelsfrei nachgewiesen sind (was im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens ja aber gar nicht möglich ist):

6.4. Der Sachverständige hat seinen Erkenntnis- und Wertungsprozess umfassend und nachvollziehbar darzustellen. Das Bundesgericht anerkennt in seiner Rechtsprechung, dass bei der Begutachtung im Grundsatz Methodenfreiheit besteht. Die Wahl der Methode muss aber begründet sein. Die wissenschaftlichen Standards müssen eingehalten und die Schlussfolgerungen transparent sowie für die Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar dargestellt werden (vgl. BGE 128 I 81 E. 2 S. 85; Urteil 6B_304/2015 vom 14. September 2015 E. 2.4).  
 
Dies ist hier bereits in Bezug auf die Wahl des Prognoseinstruments nicht der Fall. Aus dem Gutachten und den mündlichen Ausführungen des Experten geht nicht hervor, welche Kriterien ausschlaggebend für die Wahl des Prognoseinstruments “DyRiAS” waren. “DyRiAS” erfasst zudem explizit ausschliesslich Gewalt in heterosexuellen Beziehungen. Nachdem einzig Übergriffe auf die Kinder des Beschwerdeführers zu beurteilen sind, leuchtet nicht ohne Weiteres ein und wird nicht thematisiert, dass und inwiefern das verwendete Instrument im konkreten Fall gleichwohl aussagekräftig sein soll.  
 
Zwar ist es dem Gutachter nicht untersagt, für die Beurteilung der Rückfallgefahr Prognoseinstrumente heranzuziehen, wenn er zusätzlich dazu eine differenzierte Einzelfallanalyse vornimmt (vgl. Urteile 6B_424/2015 vom 4. Dezember 2015 E. 3.3 und 3.4 mit Hinweisen; 6B_772/2007 vom 9. April 2008 E. 4.2). Hier aber stützt sich der Gutachter bei der Beurteilung der Rückfallgefährlichkeit im Wesentlichen auf die Ergebnisse des “DyRiAS” und damit auf ein Prognoseinstrument, ohne eine differenzierte individuelle Analyse der Risikoeinschätzung in nachvollziehbarer Weise vorzunehmen. Inwiefern das Gutachten methodisch fachgerecht erstellt wurde, kann nicht überprüft werden. Unter dem Titel “Darstellung der Einzelfaktoren / vorliegende Hintergrundinformation” fliessen zudem mehrere Verhaltensweisen in die Prognose ein, die nicht Prozessgegenstand sind oder diesbezüglich Freisprüche erfolgten. Dies ist der Fall, soweit der Gutachter körperliche Gewalt und Drohungen zum Nachteil der Ehefrau sowie Todesdrohungen gegenüber den Kindern thematisiert und daraus Schlüsse zieht. Der Gutachter geht mithin von unzutreffenden Prämissen aus. Tatsachen und Umstände, auf welche sich eine Gefährlichkeitsbeurteilung stützt, müssen aber zweifelsfrei nachgewiesen sein (HEER, a.a.O., N. 64 zu Art. 56 StGB). Die Vorinstanz unterliess es, den Gutachter anlässlich der Berufungsverhandlung auf der Grundlage verschiedener Sachverhalte zu befragen. Dies wäre insbesondere mit Blick auf die im Raum stehende Sistierung des Verfahrens (Entscheid S. 6) und den im Berufungsverfahren unangefochtenen Freispruch vom Vorwurf der Todesdrohung (woraus der Gutachter eine Gefährdung der Kinder ableitet) angezeigt gewesen. 
 
Schliesslich genügt die gutachterliche Prognoseeinschätzung zur Rückfallgefahr nicht. Bei einer familiären Trennung ist laut Expertise “grundsätzlich eine schwere Gewalttat […] nicht auszuschliessen” respektive sei “mit Stalking und ggf. mit massiver Gewaltanwendung” zu rechnen (Gutachten S. 54 und 56). Damit bleibt aber die Prognoseeinschätzung unbestimmt. Auch wenn die prognostische Risikobeurteilung schwierig ist und sich menschliches Verhalten wohl kaum abschliessend voraussagen lässt, hat sich der Sachverständige hinreichend fassbar dazu zu äussern, ob und allenfalls welche Delikte mit wie hoher Wahrscheinlichkeit künftig zu erwarten sind (Urteil 6B_265/2015 vom 3. Dezember 2015 E. 6.3.2). Der Sachverständige hat über die Gefährlichkeit des Betroffenen eine hinreichend bestimmte Entscheidung zu treffen. Diesen Anforderungen wird das Gutachten nicht gerecht. Nichts anderes gilt für die mündlichen Ausführungen des Experten anlässlich der Berufungsverhandlung. Geht die Vorinstanz demgegenüber von einem hohen oder sehr hohen Risiko von Gewaltanwendungen aus (Entscheid S. 16 ff.), lässt sich eine solche Prognose weder aus den schriftlichen noch aus den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen ableiten.