Bonne administration de la justice?

Mit BGE 1B_64/2011 vom 17.02.2011 (Publikation in der AS vorgesehen) legt das Bundesgericht die eben erst in Kraft getretene Strafprozessordnung m.E. gegen ihren Wortlaut aus und gibt der Staatsanwaltschaft ein Beschwerderecht gegen Haftentscheide, das ihr der Gesetzgeber mit guten Gründen vorenthalten hat.

Art. 222 StPO lautet wie folgt:

Die verhaftete Person kann Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten. […].

Das Bundesgericht legt damit Art. 222 StPO ohne Not gegen den Wortlaut aus. Ohne Not, weil die verhaftete Person nach dem Urteil des Zwangsmassnahmengerichts “unverzüglich” freigelassen werden muss (Art. 226 Abs. 5 StPO) und weil die Beschwerde jedenfalls in der Regel keine aufschiebende Wirkung hat. Abgesehen davon zeugt es von einem denkwürdigen Staatsverständnis, wenn das Bundesgericht der Verwaltung (Staatsanwaltschaft) vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Rechtsmittel gegen Gerichtsentscheide gibt, welche das Rechtssubjekt vor der Beschränkung seiner persönlichen Freiheit schützen. Das Bundesgericht geht m.E. den Strafverfolgern auf den Leim, die sich oft genug als Watchdog des Rechtsstaats betrachten. Diese Aufgabe kommt nach meiner Auffassung vielmehr dem Richter zu. Das Bundesgericht hat hier eine völlig andere Perspektive, die nach meinem bisherigen Verständnis in der Aufklärung mit guten Gründen aufgegeben wurde: 

Dès lors, en dépit de l’avis exprimé par SCHMID (Schweizerische Strafprozessordnung, Zurich 2009, n° 7 ad art. 222 – dans son ancienne teneur -, qui paraît admettre l’existence d’un silence qualifié), l’intérêt public à une bonne administration de la justice commande de reconnaître au ministère public le droit de saisir l’autorité cantonale de recours contre une décision de mise en liberté rendue par le Tmc (cf. dans ce sens DONATSCH/HANSJAKOB/LIEBER, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Zurich 2010, n° 7 ad art. 222; Basler Kommentar StPO, FORSTER, n° 6 ad. art. 222). Le ministère public doit pouvoir remplir sa fonction, soit notamment poursuivre une procédure jusqu’à son terme, l’absence d’une voie de droit cantonale à l’encontre d’une décision de libération pouvant être préjudiciable à cette mission (E. 1.4).

Bei alledem ist nicht zu verkennen, dass der Entscheid in der Praxis keinerlei Bedeutung haben wird. Der Staatsanwalt hat bekanntlich wesentlich effizientere Mittel gegen einen abgewiesenen Haftantrag: er lässt die zu entlassene Person einfach wieder verhaften und stellt einen neuen Haftantrag. Auf eine Beschwerde, die ihm das Bundesgericht in die Hand legt, ist er nicht angewiesen. Umso ärgerlicher ist das Urteil des Bundesgerichts, das in meinen Augen auf die Shortlist der Fehlurteile des Jahres gehört.