Abwesender Staatsanwalt, objektiver Richter, faires Verfahren

In der Schweiz ist es nach Massgabe von Art. 337 StPO möglich, dass die Staatsanwaltschaft ihre Anklage vor Gericht nicht persönlich vertreten muss. Damit wird in Kauf genommen, dass der Richter nolens volens in die Rolle des Anklägers rutscht, zumal die Verteidigung gleichsam gegen ein Phantom ficht, das sich nicht wehren kann.

Das Bundesgericht sieht darin weiterhin und trotz der Rechtsprechung des EGMR keinen Verstoss gegen Art. 6 EMRK (BGer 6B_229/2019 vom 27.05.2019). Der Richter bleibt im Übrigen schon deshalb objektiv, denn es im Gesetz steht:

Der Beschwerdeführer erblickt einen Verstoss gegen Art. 6 EMRK ferner darin, dass die Staatsanwaltschaft nicht am Verfahren teilgenommen habe, was seinen Anspruch auf ein unparteiisches Gericht und ein kontradiktorisches Verfahren verletze. Der Einwand ist unbegründet. Wie das Bundesgericht im ebenfalls den beschwerdeführerischen Anwalt involvierenden Urteil 6B_373/2018 vom 7. September 2018 E. 3.2.2 und E. 3.3 erwogen hat, ist die Staatsanwaltschaft nach geltendem Verfahrensrecht (Art. 337 StPO) nur dann zur persönlichen Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet, wenn sie eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder eine freiheitsentziehende Massnahme beantragt (Abs. 3) oder wenn die Verfahrensleitung die persönliche Vertretung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft anordnet (Abs. 4). Beides behauptet der Beschwerdeführer nicht und ist angesichts der Verurteilung zu einer geringfügigen Geldstrafe nicht ersichtlich. Er legt auch keine anderweitige Verletzung des einschlägigen Verfahrensrechts dar. Namentlich behauptet er nicht, das Gericht habe in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft Handlungen vorgenommen, wozu gesetzlich allein diese befugt gewesen wäre. Dies im wesentlichen Unterschied zu den von ihm zitierten Urteilen des EGMR vom 18. Mai 2010 in Sachen Ozerov gegen Russland (Nr. 64962/01) und vom 27. Januar 2011 in Sachen Krivoshapkin gegen Russland (Nr. 42224/02), wobei die Staatsanwaltschaft der Hauptverhandlung unentschuldigt fern geblieben war (vgl. BGE 144 I 234 E. 5.3 ff.; Urteil 6B_373/2018 vom 7. September 2018 E. 3.3.1). Angesichts der gesetzlichen Verpflichtung des Gerichts zu Objektivität (Art. 6 Abs. 2, Art. 343 und Art. 389 StPO) erweckt die Verfahrensleitung durch das Gerichtspräsidium, etwa die – gesetzlich vorgesehene – erneute Befragung eines Zeugen keinen Anschein von Voreingenommenheit. Vielmehr kommt dem Gericht nach schweizerischer Konzeption eine aktive Rolle zu und zwar unabhängig von der Teilnahme der Staatsanwaltschaft (BGE 144 I 234 E. 5.3 ff.). Deren Abwesenheit anlässlich der Hauptverhandlung begründet daher weder einen Verstoss gegen Art. 30 Abs. 1 BV noch gegen Art. 6 EMRK. Mit seinem Verweis auf die Rollenverteilung gemäss StPO scheint der Beschwerdeführer zu verkennen, dass auch der EGMR einen Verstoss gegen Konventionsrecht bei Einhaltung der gesetzlichen Verfahrensbestimmungen grundsätzlich verneint (oben E. 2.1).  
Was der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf das Urteil des EGMR in Sachen Karelin gegen Russland vom 20. September 2016 (Nr. 926/08 §§ 53 ff.) aus der Feststellung ableiten will, dass der EGMR bei der Frage nach der Unparteilichkeit des Gerichts nicht zwischen kontradiktorischem und inquisitorischem Verfahren unterscheide, ist unerfindlich. Entscheidend für einen Verstoss gegen Art. 6 EMRK war in allen Fällen, dass das Gericht in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft Handlungen vorgenommen hatte, die gesetzlich allein dieser vorbehalten waren, was der Beschwerdeführer zu Recht nicht behauptet. Entgegen seiner Auffassung bestehen mit Bezug auf die Rollen von Gericht und Staatsanwaltschaft sowie die richterliche Unabhängigkeit zudem sehr wohl wesentliche Unterschiede zwischen schweizerischem und russischem Recht (vgl. BGE 144 I 234 E. 5.6) [E. 2.2.3, Hervorhebungen durch mich].

Damit ist natürlich nicht gesagt, was sachlich richtig wäre. Das aber hat der Gesetzgeber zu entscheiden und dem ist Effizienz wichtiger als Sachlichkeit.