Auslieferung oder Übernahme der Strafvollstreckung?

Die Schweiz wollte einen deutschen Staatsangehörigen, der mit seiner Familie in der Schweiz wohnt, nach Serbien ausliefern, obwohl Serbien die Schweiz inzwischen um Übernahme der Strafvollstreckung ersucht hatte,

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gegen die Auslieferung gut (BGer 1B_214/2019 vom 05.06.2019, Fünferbesetzung). Es weist darauf hin, dass die Auslieferung abgelehnt werden kann, wenn die Schweiz die Verfolgung der Tat oder die Vollstreckung des ausländischen Strafentscheides übernehmen kann und dies im Hinblick auf die soziale Wiedereingliederung des Verfolgten angezeigt erscheint (Art. 37 Abs. 1 IRSG).

Das Bundesgericht wirft dem Bundesstrafgericht vor, angesichts des Anspruchs auf Familienleben keine sorgfältige Rechtsgüterabwägung vorgenommen zu haben:  

Falls der ursprünglich um Auslieferung ersuchende Staat ein nachträgliches Gesuch um Übernahme der Strafvollstreckung durch die Schweiz gestellt hat, ist den Gesichtspunkten von Artikel 37 Absatz 1 IRSG bzw. Artikel 2 des (für die Schweiz seit dem 1. Oktober 2004 anwendbaren) Zusatzprotokolls zum Europäischen Überstellungsübereinkommen (SR 0.343.1) ausreichend Rechnung zu tragen (vgl. BGE 129 II 100 E. 3.1 S. 102; Urteil 1A.225/2003 vom 25. November 2003 E. 4). In Ausnahmefällen kann der grundrechtliche Schutz des Familienlebens sogar ohne förmliches Gesuch um Strafübernahme die Abweisung des Auslieferungsersuchens und die stellvertretende Strafvollstreckung in der Schweiz gebieten (vgl. BGE 122 II 485, nicht amtl. publizierte E. 3e und E. 4). Liegt ein Gesuch um Übernahme der Strafvollstreckung vor, ist nach den Artikeln 94-99 und 103 f. IRSG vorzugehen (BGE 136 IV 44 E. 1.2-1.4 S. 46-48) [E. 2.7].  

Der auf dem Spiel stehende Grundrechtsschutz erfordert eine vertiefte Abklärung und möglicherweise ein Nichteintreten auf das ursprüngliche Auslieferungsgesuch:

Der angefochtene Entscheid hält vor dem Bundesrecht nicht stand. Es drängen sich tatsächliche und rechtliche Abklärungen zur Frage auf, ob dem Auslieferungsersuchen angesichts des – unmissverständlich formulierten – förmlichen Gesuches der serbischen Behörden um Übernahme der Strafvollstreckung durch die Schweiz überhaupt noch Folge zu leisten ist. Das BJ hat unterdessen entsprechende Abklärungen eingeleitet und wird in der vorliegenden Konstellation neu über das Auslieferungsersuchen bzw. das konkurrierende Gesuch um Übernahme der Strafvollstreckung zu entscheiden haben (Art. 37 Abs. 1, Art. 55 Abs. 1, Art. 94-99 und Art. 103 f. IRSG; vgl. BGE 136 IV 44 E. 1.2-1.4 S. 46-48). Dabei wird es insbesondere den Vorbringen Rechnung zu tragen haben, dass der Beschwerdeführer deutscher Staatsangehöriger ist und mit seiner Ehefrau und drei Kindern in der Schweiz wohne und arbeite. Angesichts des Beschleunigungsgebotes in Auslieferungshaftsachen (vgl. Art. 17a Abs. 1 und Art. 47-51 IRSG) drängt sich dabei ein zügiges Vorgehen des BJ auf )E. 3.2).