Basel-Landschaft: Strafbehörden auf Abwegen

Mit ausserordentlich scharfer Kritik kassiert das Bundesgericht die Verurteilung eines Polizisten durch die basel-landschaftliche Strafjustiz, wirft aber gleichzeitig der Staatsanwaltschaft vor, den Polizisten möglicherweise bewusst unzureichend angeklagt zu haben (BGer 6B_719/2017 vom 10.09.2018).

Die Kritik an der Vorinstanz betrifft zunächst das Immutabilitätsprinzip. Das Bundesgericht wirft dem Kantonsgericht BL tatsächlich vor, den Anklagetext “überhaupt nicht zu Kenntnis” genommen zu haben:

Es verhält sich mitnichten so, wie es die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung darzustellen versucht, dass es zwei “Versionen der Zusatzanklageschrift vom 13. Oktober 2014” gebe. Es gibt eine einzige Zusatz-Anklageschrift vom 13. Oktober 2014 und diese befindet sich als act. 2837 – 2841 bei den Akten. Der von der Vorinstanz als angeblich angeklagt wiedergegebene Text, auf welchen sie ihren Schuldspruch basiert, entspricht nicht dem tatsächlichen Text der Anklageergänzung vom 13. Oktober 2014.
Insbesondere wird im tatsächlichen Anklagetext (anders als in der falschen Darstellung des Anklagetextes durch die Vorinstanz) ein pflichtwidriges Verhalten in keiner Art und Weise umschrieben. Indem die Vorinstanz ihrem Entscheid einen in Tat und Wahrheit nicht angeklagten Sachverhalt zugrunde legt, verletzt sie das in Art. 350 Abs. 1 StPO verankerte Immutabilitätsprinzip, wonach das Gericht an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt gebunden ist. Denn damit sich das Gericht bei der Entscheidfindung an den Sachverhalt gemäss Anklage halten kann, ist vorausgesetzt, dass das Gericht den effektiven Anklagetext überhaupt zur Kenntnis nimmt. Dies ist vorliegend nicht der Fall, vielmehr übernimmt die Vorinstanz ungeprüft die falsche Anklagewiedergabe der Erstinstanz. Ebenso verletzt die Vorinstanz Art. 9 StPO, weil sie ihre Verurteilung auf einen gerade eben in der Anklage nicht umschriebenen Sachverhalt basiert (E. 1.3.2, Hervorhebungen durch mich).
Die fallführende Staatsanwältin wird auch nicht eben pfleglich behandelt. Was ihr das Bundesgericht vorwirft, könnte sogar als strafrechtlich relevant erscheinen:
Mit Blick auf die gegen den Beschwerdeführer als Polizeibeamten geführte Untersuchung entsteht in objektiv begründeter Weise der Eindruck, die Staatsanwältin habe dem im Raum stehenden Vorwurf eines (Fahrlässigkeits-) Delikts in einer ersten Phase nicht nachgehen wollen und dieses in einer zweiten Phase derart offensichtlich fehlerhaft und in diesem Sinne widerwillig angeklagt, dass eine entsprechende Verurteilung des Polizeibeamten bei Nachachtung des Anklagegrundsatzes durch das erkennende Gericht von vornherein nicht erfolgen konnte. Ihr Vorgehen erweckt zumindest den Anschein, dass sie darauf abzielte, mittels einer mangelhaften Anklage einen Freispruch zu erwirken. In gleicher Weise könnte auch die jüngste Bemerkung der Staatsanwältin in ihrer Vernehmlassung vor Bundesgericht gelesen werden, wenn sie unterstreicht, der Beschwerdeführer habe bei Annahme eines Sachverhaltsirrtums seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt. Ihr Vorgehen weist wiederholte Mängel auf, die in ihrer Summierung objektiv geeignet sind, Zweifel an ihrer Unabhängigkeit zu wecken und das Vertrauen in ihre Unvoreingenommenheit zu erschüttern. Dies gilt spätestens ab dem Zeitpunkt, als die Staatsanwältin am 13. Oktober 2014 beim Präsidium der ersten Instanz die geänderte und mangelhafte Anklage einreichte (E. 2.2.2).