Überraschungsei vom Obergericht Aargau

Das Obergericht AG geht immer wieder erstaunliche Wege. Jüngst wurde eines seiner Urteil kassiert, weil das Obergericht einen Beschwerdeführer unversehens und unbegründet mit der Anordnung des schriftlichen Verfahrens überrascht und ihm wenige Tage später dann gleich das Urteil zugestellt hat (BGer 6B_1430/2021 vom 15.02.2023). Für das Bundesgericht war nicht einmal überprüfbar, ob das schriftliche Verfahren i.c. zulässig war:

Die Rüge des Beschwerdeführers ist berechtigt. Die vorinstanzliche Verfahrensleitung ordnete zunächst mit Verfügung vom 3. August 2021 das mündliche Verfahren an und setzte dem Beschwerdeführer Frist, eine schriftliche Begründung der Berufung vorgängig zur Berufungsverhandlung einzureichen. Zugleich wies sie darauf hin, an der Berufungsverhandlung sei eine Ergänzung der Berufungsbegründung möglich und den Parteien stünden zwei Parteivorträge zu. Am 24. August 2021 (Datum: Postaufgabe) reichte der Beschwerdeführer eine “summarische Berufungsbegründung” ein. Alsdann ordnete die vorinstanzliche Verfahrensleitung mit Verfügung vom 28. Oktober 2021 gestützt auf Art. 406 Abs. 1 lit. c StPO das schriftliche Verfahren an. Das vorinstanzliche Urteil erging am 4. November 2021 und wurde dem Beschwerdeführer am 5. November 2021 zugestellt. Aufgrund der fehlenden Begründung sowohl in der Verfügung vom 28. Oktober 2021 der vorinstanzlichen Verfahrensleitung als auch im angefochtenen Urteil ist nicht ersichtlich, ob das Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens von Amtes wegen geprüft wurde, und kann die Rechtmässigkeit deren Anordnung nicht überprüft werden. Die Begründung vermag den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG nicht zu genügen und verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Selbst wenn das schriftliche Berufungsverfahren zulässig gewesen wäre, beschnitt die vorinstanzliche Verfahrensleitung die Verteidigungsrechte und verletzte somit Bundesrecht, indem sie dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall keine Frist für eine Ergänzung der begründeten Berufungserklärung ansetzte. Das Vorgehen der Verfahrensleitung wie die Nichtkorrektur durch das Berufungsgericht erweisen sich als unhaltbar. Das Urteil ist aus diesem Grund aufzuheben (E. 1.3).