Obergericht BE: Too little, too late

Im Dezember 2019 hat ein Verwahrter erfolglos ein Gesuch um bedingte Entlassung gestellt. Am 18. Juli 2022 hat das Obergericht BE zum zweiten Mal in der Sache entscheiden müssen (sein erster Entscheid war bereits im Jahr 2021 kassiert worden; vgl. dazu BGer 6B_280/2021 und 6B_419/2021 vom 27.05.2021).

Nun wird auch der zweite Entscheid kassiert (BGer 6B_1068/2022 vom 08.02.2023, Fünferbesetzung), diesmal allerdings lediglich, weil die zugesprochene Entschädigung für die Verletzung des Beschleunigungsgebots mit CHF 2,000.00 zu knapp ausgefallen war.

Zur Verletzung von Art. 5 Ziff. 4 EMRK:

Von der Gesuchseinreichung bis zum (zweiten) vorinstanzlichen Beschluss verstrichen vorliegend, wie bereits ausgeführt, zwei Jahre und sieben Monate. Ferner übersieht die Vorinstanz, dass sich die Rechtsprechung seit dem von ihr zitierten Urteil weiterentwickelt hat und strenger geworden ist (vgl. zur Rechtsprechung des EGMR Urteile 6B_1376/2021 vom 26. Januar 2022 E. 2.3.5; 6B_850/2020 vom 8. Oktober 2020 E. 3.2), weshalb das genannte Urteil nicht unbesehen der seither ergangenen Urteile des Bundesgerichts und des EGMR herangezogen werden kann.  

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich sowohl die Dauer des ersten – was die Vorinstanz im angefochtenen Beschluss bereits festhält – als auch des zweiten vorinstanzlichen Beschwerdeverfahrens und damit auch die gesamte Verfahrensdauer seit der Einreichung des Gesuchs um bedingte Entlassung aus der Verwahrung nicht mit der “kurzen Frist” von Art. 5 Ziff. 4 EMRK vereinbaren lässt (E. 5.3, Hervorhebungen durch mich). 

Die in erster Linie gerügte Dauer des Freiheitsentzugs von 22 Jahren bei einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren erachtete das Bundesgericht übrigens als “gerade noch” verhältnismässig” (E. 3.4.2). Unterdessen sind es 23 Jahre, aber auch das wird wohl gerade noch verhältnismässig sein, auch wenn zu berücksichtigen ist, dass das Obergericht BE seinen dritten Entscheid erst noch fällen muss, zumal das Bundesgericht wie üblich das ganze Urteil aufgehoben.

Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesgericht fairerweise selbst anmerkt, dass auch sein Verfahren “relativ lange” gedauert hat, was zu berücksichtigen sein werde. Das oben verlinkte erste bundesgerichtliche Verfahren dauerte dagegen keine zwei Monate.