Versehentliche Aktenherausgabe

Der Umgang mit elektronischen Daten stellt alle Verfahrensbeteiligten vor Probleme, die dringend gelöst werden müssen. In vielen Fällen ist völlig unklar, was überhaupt zum Aktenbestand gehört und niemand kann die riesigen Datenmengen überblicken. Verzeichnisse zu elektronischen Daten werden regelmässig nicht geführt. Wie man ein Strafverfahren ohne sichere Kenntnis und ohne systematische Erschliessung des Prozessstoffs durchführen will, bleibt mir ein ungelöstes Rätsel.

Aus solchen Problemen resultieren Fehler, die es nie geben dürfte. Ein aktuelles Beispiel geht aus einem heute publizierten Entscheid des Bundesgerichts hervor (BGer 7B_156/2022 vom 07.09.2023). Danach stellt die versehentliche Herausgabe von offensichtlich nicht beschlagnahmefähigen Akten (Anwalts- und Verteidigerkorrespondenz) durch die Staatsanwaltschaft an den Vertreter der Privatklägerschaft stellt keinen Ausstandsgrund dar, weil das Versehen auf einem “Vollzugsfehler der Informatik” beruhte. Zudem hat der fehlbare Staatsanwalt sich darum bemüht, den Fehler zu korrigieren. Keinen Ausstandsgrund stellt auch der Umstand dar, dass der irrtümlich “begünstigte” Privatklägervertreter ein früherer Kollege von derselben Abteilung der Staatsanwaltschaft ist:

Mit diesen Massnahmen konnte der Beschwerdegegner zwar die offenkundig unzulässige Herausgabe von nicht beschlagnahmefähiger Anwalts- und Verteidigerkorrespondenz (Art. 264 Abs. 1 lit. a und lit. c StPO) bzw. die etwaige Kenntnisnahme von deren Inhalt durch die Privatklägerschaft nicht mehr vollumfänglich rückgängig machen. Ein Verfahrensfehler durch den Beschwerdegegner ist damit grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Die Vorinstanz weist allerdings zu Recht darauf hin, dass der Beschwerdegegner bemüht war, den Fehler schnellstmöglich zu beheben. Wie die Vorinstanz weiter korrekt festhält, beruht die Herausgabe der fraglichen Daten zudem nicht auf der Absicht des Beschwerdegegners, sondern erfolgte irrtümlicherweise aufgrund eines Informatikproblems, welches der Kantonspolizei zuzurechnen ist. In Übereinstimmung mit dem Beschwerdeführer erschliesst sich zwar nicht abschliessend, weshalb die elektronisch gespeicherte Verteidigerkorrespondenz anlässlich der von der Staatsanwaltschaft mit Einwilligung des Beschwerdeführers erfolgten Triage diesem nicht direkt wieder ausgehändigt bzw. gelöscht wurde. Schliesslich dürfen auch die Strafverfolgungsbehörden keine Einsicht in die Verteidigerkorrespondenz nehmen (Art. 248 Abs. 1 StPO). Wie sich aus den Akten ergibt, lag aber gerade hier der bei der Kantonspolizei erfolgte Vollzugsfehler, da der Beschwerdegegner davon ausging, die fragliche Verteidigerkorrespondenz sei von Kantonspolizei wie beauftragt ausgeschieden worden, wie es ihm diese am 12. Juni 2019 per E-Mail bestätigte. Der Verfahrensfehler des Beschwerdegegners ist damit auf eine technische Fehlerkette zurückzuführen und kommt bei gesamthafter Würdigung jedenfalls keiner schweren Verletzung der Amtspflichten gleich (siehe vorne E. 3.3). Ein krasser Verfahrensfehler im Sinne von Art. 56 lit. f StPO ist insoweit zu verneinen (E. 4.3.2).