Vertragliche Forderungen im Adhäsionsprozess?

Wenn das Bundesgericht in ausserordentlicher Besetzung zu fünft entscheidet, kommen bisweilen überraschende Entscheide zugunsten der Privatkläger zustande. Ein aktuelles Beispiel ist BGer 6B_1084/2021 bzw. 6B_1096/2022 vom 05.04.2023, vereinigt, Fünferbesetzung). Hier wirft das Bundesgericht der Vorinstanz vor, eine Adhäsionsklage trotz Schuldspruchs nicht beurteilt zu haben. Das Bundegericht scheint sogar in Betracht zu ziehen, dass bei Anspruchskonkurrenz auch der Anspruch aus Vertragsverletzung adhäsionsweise zu beurteilen ist:

Nach dem Gesagten hätte die Vorinstanz über die Zivilforderungen der Privatklägerinnen entscheiden müssen. Indem sie die Zivilforderungen dennoch auf den Zivilweg verweist, verletzt sie Art. 126 StPO. […].  

Aus Gründen der Verfahrensökonomie ist bereits jetzt darauf hinzuweisen, dass die Vorinstanz im angefochtenen Urteil von einem falschen Verständnis der Anspruchskonkurrenz ausgeht. Sie erwägt, die Beschuldigte sei aus Vertrag verpflichtet, den Privatklägerinnen die vereinnahmten Kommissionen herauszugeben. Insoweit hätten die Privatklägerinnen gemäss Vorinstanz “auf Erfüllung oder auf Leistung an Erfüllungs Statt” klagen müssen und nicht auf Schadenersatz. Geht es nach der Vorinstanz, so liegt kein Schaden im Rechtssinne vor, solange die Privatklägerinnen einen vertraglichen Anspruch gegen die Beschuldigte haben und dessen Erfüllung möglich ist. 

Diese Auffassung geht fehl. Bei Haftungskonkurrenz aus unerlaubter Handlung und aus Vertrag stehen dem geschädigten Vertragspartner beide Rechtsgründe gegen den Haftpflichtigen alternativ zur Verfügung (vgl. nur BGE 113 II 246 E. 3; Urteil 4A_261/2015 vom 30. Oktober 2015 E. 4.1). Ein Haftpflichtiger kann gleichzeitig aus mehreren Haftungsgründen für denselben Schaden einstehen müssen. So ist es denkbar, dass der Verursacher einer unerlaubten Handlung gleichzeitig eine Vertragsverletzung begeht. Beide Schadenersatzansprüche, der vertragliche aus Nicht- oder Schlechterfüllung von Verträgen und der ausservertragliche, bestehen nebeneinander (ROLAND BREHM, in: Berner Kommentar, Das Obligationenrecht, 5. Aufl. 2021, N. 54 zu Art. 51 OR; vgl. auch N. 11 zu Art. 60 OR). [E. 6.3, Hervorhebungen durch mich].

Das mag alles richtig sein, hat aber mit Adhäsionsverfahren nichts mehr zu tun. Das hat das Bundesgericht vor nicht allzu langer Zeit ohne die Zivilrechtler bestätigt (BGE 148 IV 432).