Zwangsmassnahmen oder Rechtshilfe?

Die Staatsanwaltschaft des Kantons AG hat “ihre” JVA hoheitlich zur Herausgabe von Beweismitteln aufgefordert. Das erwies sich nach einem neuen Grundsatzentscheid des Bundesgerichts als unzulässig (BGE 6B_1298/2022 vom 10.07.2023, Publikation in der AS vorgesehen). Auch nicht zulässig wäre es gewesen, die Beweismittel zu beschlagnahmen. Die Staatsanwaltschaft hätte vielmehr ein Rechtshilfegesuch an die JVA stellen müssen:

Dies hat nach dem Dargelegten zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft weder befugt war, die JVA U. im Sinne von Art. 265 Abs. 3 StPO hoheitlich zur Herausgabe der Videoaufzeichnungen vom 11. Juli 2019 aufzufordern, noch hätte sie diese beschlagnahmen können, falls die Justizvollzugsanstalt die Videoaufnahmen nicht herausgegeben hätte. Mithin weist der Beschwerdeführer zutreffend darauf hin, dass die fraglichen Videoaufzeichnungen nicht rechtmässig beschafft wurden. Der teilweise in der Lehre geäusserten Meinung, wonach prozessuale Zwangsmittel auch gegenüber einer grundsätzlich zur nationalen Rechtshilfe verpflichteten Behörde möglich seien, wenn es sich bei dieser Behörde um die Arbeitgeberin der beschuldigten Person handle oder ganz allgemein im Falle von Kollusionsgefahr, kann nicht gefolgt werden. Die Bestimmungen über die nationale Rechtshilfe gehen in ihrem Anwendungsbereich als leges speciales zwingend den Regeln über die Beschlagnahme und Herausgabe vor. Sowohl aus Gründen der Rechtssicherheit als auch des öffentlichen Interesses an einem geordneten Verfahrensgang kann es letztlich nicht im Belieben der Strafbehörden stehen, ob sie zur Beschaffung und Sicherung von Beweismitteln im Einzelfall – beispielsweise bei eine ihrer eigenen Einschätzung nach möglichen Kollusionsgefahr oder einem Interessenkonflikt der betreffenden Behörde -, anstelle des gesetzlich vorgesehenen Wegs der Rechtshilfe, denjenigen der prozessualen Zwangsmassnahmen wählt. Folglich hätte die Staatsanwaltschaft – unabhängig von allfälligen Anhaltspunkten für eine Beweismittelvernichtung – mittels förmlichem Rechtshilfebegehren an die JVA U. gelangen müssen, um deren Videoaufzeichnungen vom 11. Juli 2019 zu beschaffen. Bei einer Weigerung der Justizvollzugsanstalt, diesem Rechtshilfeersuchen (vollständig) nachzukommen, hätte die Staatsanwaltschaft das nach Art. 48 StPO zuständige Gericht anrufen können. Dabei hätte sie einen Antrag auf vorläufige sichernde Massnahmen stellen können, bis zum Entscheid über den Konflikt hinsichtlich der Rechtshilfe sei die gegenwärtige Lage betreffend der streitigen Videoaufzeichnungen nicht zu verändern (E. 1.4). 

Beweisrechtlich hatte dies keine Folgen, denn es ging um Amtsmissbrauch und das ist eine schwere Straftat i.S.v. Art. 141 Abs. 2 StPO. Zudem war das öffentliche Interesse an der Aufklärung der Tat höher als dasjenige des Beschwerdeführers an der rechtskonformen Erhebung resp. der Unverwertbarkeit der Videoaufnahmen gewichtet. Wieso das so sei, sagt das Bundesgericht nicht. Es ist einfach so, weil es immer so ist. Und das ist selbst dann so, wenn das Gesetz eine solche Abwägung gar nicht vorsieht.