Illegale “Not-Hausdruchsuchung” und hybrider Entsiegelungsentscheid

Die Strafbehörden des Kantons Zürich kommen in einem neuen Urteil des Bundesgerichts nicht gut weg. Den Strafverfolgern wirft es Unverhältnismässigkeit vor und dem Entsiegelungsrichter im Ergebnis, er habe seinen Job nicht gemacht (BGer 1B_519/2917 vom 27.03.2018).

Zunächst betont das Bundesgericht unter Hinweis auf seine Rechtsprechung, das ZMG habe im Entsiegelungsverfahren zu prüfen,

ob schutzwürdige Geheimnisinteressen oder andere gesetzliche Entsiegelungshindernisse einer Durchsuchung entgegenstehen (Art. 248 Abs. 2-4 StPO; vgl. BGE 141 IV 77 E. 4.1 S. 81; zur amtl. Publikation bestimmtes Urteil 1B_394/2017 vom 17. Januar 2018 E. 2.2). Der Entsiegelungsrichter darf die richterliche Triage der versiegelten Gegenstände bzw. die Aussonderung von geheimnisgeschützten Aufzeichnungen und Unterlagen nicht an die Staatsanwaltschaft oder an die Polizei delegieren. Wenn das ZMG spezialisierte Polizeidienste oder externe Fachexperten (z.B. Informatiker) zur Unterstützung seiner Triage beiziehen will (vgl. Art. 248 Abs. 4 StPO), hat es dafür zu sorgen, dass die betreffenden Personen nicht auf den Inhalt von (mutmasslich) geheimnisgeschützten Dateien zugreifen können (BGE 142 IV 372 E. 3.1 S. 374 f.; 141 IV 77 E. 5.5.1 S. 84 f.; 138 IV 225 E. 7.1 S. 229; 137 IV 189 E. 5.1.2 S. 196 f.; je mit Hinweisen; Urteil 1B_91/ 2016 vom 4. August 2016 E. 4.6) [E. 1.2, Hervorhebungen durch mich].

Das ZMG habe die Entsiegelungsvoraussetzungen materiell gar nicht geprüft und materielle sowie prozessleitende Gesichtspunkte in einem hybriden Entsiegelungsentscheid in unzulässiger Weise vermischt. Dieser sei aber auch aus formellen Gründen bundesrechtswidrig:

Im Lichte der strafrechtlich nicht gravierenden Vorwürfe haben Polizei und Staatsanwaltschaft auffallend massive Zwangsmassnahmen angewendet, die empfindlich in die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und in die Privatsphäre des Beschwerdeführers (Art. 13 Abs. 1 BV) eingreifen. Dazu gehören die Verhaftung am Arbeitsplatz, die polizeiliche “Not”-Hausdurchsuchung der Privatwohnung, umfangreiche Sicherstellungen, insbesondere des privaten Mobiltelefons inklusive gespeicherte Privatkommunikation sowie eines Laptops mit privaten und geschäftlichen Dokumenten, die Beschlagnahme von Medikamenten sowie das Entsiegelungsgesuch für sämtliche sichergestellten elektronischen Geräte und Aufzeichnungen.

Diese Zwangsmassnahmen erweisen sich im vorliegenden Fall – zumindest in der Gesamtbetrachtung – als unverhältnismässig und bundesrechtswidrig.

Dabei ist auch mitzuberücksichtigen, dass die polizeiliche “Not”-Hausdurchsuchung im vorliegenden Fall gesetzeswidrig war: Weder die Vorinstanz noch die Staatsanwaltschaft legen dar, inwiefern hier ein Fall von “Gefahr in Verzug” (Art. 241 Abs. 3 i.V.m. Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO) vorgelegen hätte, der ausnahmsweise eine sofortige polizeiliche Hausdurchsuchung sachlich erfordert hätte. Wie bereits dargelegt, bestanden am 21. Juli 2017 für die Kantonspolizei keine Hinweise auf schwerwiegende Delikte. Ausserdem wären hier ausreichende Ermittlungsalternativen zur Verfügung gestanden, zumal der Beschwerdeführer (nach den Feststellungen der Vorinstanz) zu sachdienlichen Aussagen und zur freiwilligen Edition der gefälschten Rezepte bereit war. Zumindest hätte die Polizei ihre massiven Zwangsmassnahmen von der Staatsanwaltschaft vorgängig bewilligen lassen können und müssen (zum Verwertungsverbot bei ungesetzlichen Untersuchungshandlungen, die der Aufklärung minder schwerer Delikte dienen vgl. auch Art. 141 Abs. 2-5 StPO; BGE 143 IV 270 E. 7.6 S. 285 mit Hinweisen) [E. 3.7].

Beachtlich sind übrigens auch die (kurzen) Erwägungen zum Eintreten.