Kapitaler Dammbruch: Die Staatsanwaltschaft als spontanes Hilfsorgan aller Verwaltungsbehörden

In einem zur Publikation in der AS vorgesehenen Urteil entscheidet das Bundesgericht in der Altjahreswoche noch zwei Fragen von erheblicher rechtlicher Bedeutung (BGE 6B_91/2018 vom 27.12.2018).

Bei der ersten Frage geht es um eine Art spontane nationale Rechtshilfe und erlaubt es der Staatsanwaltschaft, von sich aus andere Verwaltungsbehörden mit Informationen und Personendaten aus dem Strafverfahren zu bedienen.

Bei der zweiten Frage geht es um Überweisung von Vermögenswerten, die der berechtigten Person mangels Deliktskonnex zurückzugeben wären an das Betreibungsamt.

Beide Frage entscheidet das Bundesgericht ohne Prüfung der Grundrechtsrelevanz und ohne Begründung entscheidender Teilaspekte zuungunsten der – teilweise zu Unrecht – beschuldigten Person. Ob es sich bewusst ist, was es mit diesem Entscheid auslöst wage ich zu bezweifeln.


Art. 96 Abs. 1 StPO betrifft die Bekanntgabe von Daten im Rahmen der nationalen Rechtshilfe und ist im Zusammenhang mit den übrigen diesbezüglichen Vorschriften der StPO, insbesondere im Zusammenhang mit Art. 101 Abs. 2 StPO zu lesen. Gemäss letzterer Bestimmung können andere Behörden die Akten eines hängigen Strafverfahrens einsehen, wenn sie diese für die Bearbeitung hängiger Zivil- Straf- oder Verwaltungsverfahren benötigen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen. Die Strafprozessordnung lässt damit eine umfassende Kommunikation zwischen den Straf-, Zivil- und Verwaltungsbehörden unter Vorbehalt überwiegender Geheimhaltungsinteressen zu. Angesichts dieser weiten Einsichtsrechte von Zivil- und Verwaltungsbehörden ist mit der herrschenden Lehre davon auszugehen, dass die Regelung von Art. 96 Abs. 1 StPO den Datenaustausch zwischen den verschiedenen Strafbehörden einerseits und den Behörden in Zivil- und Verwaltungsverfahren andererseits ebenfalls zulässt, wenn anzunehmen ist, dass die Daten wesentliche Aufschlüsse geben könnten. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Regelungen ist darin zu sehen, dass Art. 96 Abs. 1 StPO im Gegensatz zu Art. 101 Abs. 2 StPO, unter gegebenen Voraussetzungen, die Befugnis enthält, anderen Behörden Personendaten bekannt zu geben, jedoch keine Verpflichtung hierzu statuiert (BBl 2006 1159 Ziff. 2.2.8.8; GERHARD FIOLKA, a.a.O., N. 20 zu Art. 96 StPO). Die beiden Bestimmungen verhalten sich damit komplementär zueinander, wobei die in Art. 101 Abs. 2 StPO statuierten Schranken (kein entgegenstehendes überwiegendes öffentliches Interesse oder privates Interesse) auch bei der Anwendung von Art. 96 Abs. 1 StPO zu beachten sind (FRANZ RIKLIN, a.a.O., N. 2 zu Art. 96 StPO; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 5 zu Art. 96 StPO). Die spontane Übermittlung von Personendaten durch die Staatsanwaltschaft an das Betreibungsamt erscheint innerhalb der Grenze von Art. 101 Abs. 2 StPO damit als zulässig. Die Beschwerde ist insoweit unbegründet (E. 1.4.4. Hervorhebungen durch mich).  

Die Crux liegt in der Spontaneität, zu der das Bundesgericht vornehm schweigt.

Zur Überweisung freizugebender Vermögenswerte an das Betreibungsamt konstruiert das Bundesgericht kurzerhand eine Pfändung, ohne die Formalien des Betreibungsrechts überhaupt zu prüfen (das kann ja dann der Betroffene mit SchKG-Beschwerde):

Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, stand einer Rückgabe der Fr. 7’000.- die Erklärung des Betreibungsamts, dass diese den Betrag von Fr. 7’000.- bei der Staatsanwaltschaft einpfände und um dessen Überweisung erbitte, entgegen. Dass das Betreibungsamt keine Überweisung des fraglichen Betrags verlangt hat, kann mit Blick auf deren Schreiben nicht gesagt werden. Ebensowenig lässt sich der Erklärung entnehmen, dass das Betreibungsamt den Betrag bloss unter Vorbehalt einfordere, als dass dem Schuldner an der Herausgabe des Geldes nicht ein Vorrecht zuzusprechen wäre. Die Vorinstanz ging vielmehr zu Recht davon aus, dass die Erklärung des Betreibungsamts als zwangsvollstreckungsrechtliche Beschlagnahmeerklärung mit Einzug der Fr. 7’000.- zu verstehen ist. Entsprechend war die Staatsanwaltschaft gehalten, das Geld an das Betreibungsamt auszuhändigen bzw. zu verfügen, dass der Betrag an dieses herausgegeben werde. Dabei war es weder Aufgabe der Staatsanwaltschaft noch der Vorinstanz, die Rechtmässigkeit beziehungsweise die Formgültigkeit des Pfändungsbeschlags zu beurteilen und zu prüfen, ob dieser gerechtfertigt ist. Hierfür sind die Schuldbetreibungs- und Konkursbehörden zuständig. Soweit der Beschwerdeführer das Vorgehen des Betreibungsamts als nicht gesetzeskonform kritisiert, hat er seine Rügen im dafür vorgesehen SchKG-Verfahren vorzubringen. Der Vorwurf der Rechtsverweigerung ist unbegründet (E. 2.3). 

Mir verschlägt es die Sprache. Der Entscheid wird aber hoffentlich noch wissenschaftlich analysiert.