Beschränkte notwendige Verteidigung

Nach bundesgerichtlicher Sachverhaltsfeststellung in BGer 1B_507/2022 vom 22.02.203 wurde im Kanton BL ein Beschuldigter erstinstanzlich wegen sexuellen Handlungen mit Kindern, sexueller Nötigung, mehrfacher, teilweise versuchter einfacher Körperverletzung, Drohung, Sachbeschädigung, mehrfacher Tätlichkeiten, mehrfacher Beschimpfung, mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie mehrfacher Missachtung der Ausgrenzung verurteilt. Obwohl das Bundesgericht die Sanktion nicht nennt, darf man wohl davon ausgehen, dass es sich dabei um eine notwendige Verteidigung handelte. Aber das sagt das Bundesgericht auch nicht.

Im Berufungsverfahren machte der Beschuldigte nach Abweisung seiner Beweisanträge in antizipierter Beweiswürdigung den Ausstand eines Berufungsrichters geltend. Für das Ausstandsverfahren wurde ihm aber die amtliche Verteidigung wegen Aussichtslosigkeit abgesprochen. Für das Bundesgericht war das unbedenklich mit dem Ergebnis, dass notwendige Verteidigung auf das beschränkt wird, was nicht als aussichtslos erachtet wird. Damit entscheidet das Gericht, was die Verteidigung beinhaltet und was eben nicht. Wer sich eine wirksame Verteidigung finanziell leisten kann, hat dieses Problem natürlich nicht. Es trifft nur prozessarme Beschuldigte.

Hier die Begründung des Bundesgerichts, die wie bereits angetönt unberücksichtigt lässt, dass es sich hier um eine notwendige Verteidigung nach Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO handeln musste. Das Bundesgericht prüft unter Art. 132 Abs 1 lit. b StPO):

Gemäss Art. 132 StPO ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Abs. 1 lit. b). Zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person ist die Verteidigung namentlich geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre (Abs. 2). Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Monaten oder eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen zu erwarten ist (Abs. 3).  Mit Art. 132 StPO wurde die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV (und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK) kodifiziert (vgl. BGE 139 IV 113 E. 4.3). Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Sie hat ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand, sofern dies zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist. Als aussichtslos sind Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 142 III 138 E. 5.1; 140 V 521 E. 9.1; je mit Hinweisen). 

Im Gegensatz zu Art. 29 Abs. 3 BV wird in Art. 132 StPO die Voraussetzung der Nichtaussichtslosigkeit nicht erwähnt. Nach der Rechtsprechung kann der beschuldigten Person aber Aussichtslosigkeit entgegen gehalten werden, sofern sie das betreffende Verfahren selbst eingeleitet hat; so etwa in selbstständigen nachträglichen Gerichtsverfahren gemäss Art. 363 ff. StPO, Revisionsverfahren oder – zurückhaltend (“avec retenue”) – in Nebenverfahren (vgl. Urteile 6B_363/2022 vom 26. September 2022 E. 3.2; 6B_705/2015 vom 22. September 2015 E. 2; je mit Hinweisen) [E. 4.3].